Ein kleiner Einblick in eine Europa-Radreise

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Anfang des Jahres hatte ich die Gelegenheit, mit Tiko (20J) zu sprechen, der im Herbst 2024 auf seine Europa-Radreise aufbrach. In diesem Interview erfahrt ihr mehr über den Reiz des Ultracyclings sowie Höhen und Tiefen, denen der junge Ergotherapeut auf seiner Reise begegnet ist.

Wie lange bist du schon im Radsport? Was hat dir dein erstes Interesse geweckt?  
Radsport fand ich schwer zu definieren, als ich mir die Fragen einmal durchgelesen habe. Was ist Radsport? Auf dem Fahrrad sitzen und Touren erleben? Wenn man es dazu zählt, ist es schon mit sieben Jahren gestartet. Wir sind dann mit sieben Jahren zu Ostsee gefahren — in einer Woche.  Das hat viel geprägt. Vorher war Fahrradfahren für mich an sich kein Sport. Und dann kam Ausdauer dazu mit über 100 Kilometern, das war damals für mich schon richtig viel.  Da habe ich mich jedes Mal gefreut, wenn ich einen Kilometer über 100 hatte. Dann war ich 14, 15 Jahre alt und habe meine Tour alleine gemacht mit einem Freund. Wir sind dann zur Ostsee gefahren und noch mal wieder ein Stück zurück bis nach Hause. Da brauchte man tatsächlich auch noch eine Elternerlaubnis mit einem möglichen Pipapo, damit man überhaupt auf Campingplätzen schlafen darf. Irgendwann bin ich zu Oma gefahren, das waren 175 Kilometer an einem Tag.

Stadtradeln war auch noch so ein großes Thema, das geprägt hat. Man hat drei Wochen Zeit, wo man für alle Leute in der Kommune Rad fährt. Ich habe es für mich als Challenge gesehen, so viele Kilometer wie möglich zu sammeln. Ich glaube 2023 hatte ich 2.200 Kilometer in drei Wochen. Dann kam auch Steppenwolf dazu.  Das ist ja mittlerweile ein Verein und die organisieren Rennen, wie Berlin-Usedom-Berlin, Berlin-Agermünde-Berlin oder die unsupportete Bikepacking-Challenge. Ich bin dann mitgefahren und habe mir mein eigenes Material gekauft, Taschen, etc.  Da habe ich wirklich die Freude am Fahrradfahren noch mehr entdeckt – den Körper ein bisschen zu quälen, Ausdauer zu bekommen. Nach meinem Ultra 500 im Harz wollte ich auch mit Ambition ein bisschen an Steppenwolf rangehen und habe dann den zweiten Platz gemacht. Geht ja nicht, ist ja kein Rennen. Ich wollte mich selbst pushen und habe dann 600 Kilometer in 40 Stunden gemacht. Ausdauer war bisher mein Ziel.  Jetzt trainiere ich für Cyclocross, 120-kilometer Distanzen. Rad-Sport ist so vielseitig, wie du sagst. Man kann relativ viel machen, von kleinen Touren mit der Familie, von A nach B durch die Stadt bis hin zu 600 Kilometer am Stück fahren.

Du hast ja jetzt schon ziemlich viele lange Distanzen gemacht. Gab es da Personen, die dich beeinflusst haben, wo du dachtest, das sieht gut aus, darauf hätte ich auch Bock?  Oder war das eher so sehr viel intrinsische Motivation auch?
Tatsächlich hatte ich solche Menschen nicht wirklich. Ich kannte Jonas Deichmann, der hat ja den Triathlon um die Welt gemacht und mich etwas inspiriert. Aber so an sich war viel intrinsische Motivation, einfach auf dem Fahrrad zu sitzen und mich selbst zu pushen. Irgendwie ist durch Strava und Komoot viel kaputt gegangen. Da habe ich dann gesehen, was andere Leute fahren. Man vergleicht sich viel, möchte mal schneller weiter und besser werden, im Vergleich zu anderen und nicht mehr sich selbst, ist ein bisschen schade.  Weiß ich selber, dass es nicht so cool ist und mir selber auch nicht mehr so viel Spaß macht deshalb, aber man vergleicht sich doch schon irgendwie mit den ganzen Medien.  

Wie bist du darauf gekommen, eine Europa Tour zu machen? In der Ausbildung zum Ergotherapeuten hatte ich oft Langeweile im Unterricht. Ich habe mir Komoot auf’s iPad heruntergeladen und dann immer mir Orte rausgesucht und dann ist so ein bisschen die Idee entstanden, eine Weltreise zu machen für ein Jahr nach der Ausbildung. Die Idee habe ich schnell verworfen, weil ich zu faul bin, um mich um den ganzen Visa Kram zu kümmern. Ich wollte so viele Länder wie möglich mitnehmen, habe mir einfach ein paar Punkte auf Kommod markiert und eine grobe Route geplant. Ende 2024 im September habe ich die Ausbildung abgeschlossen und jeden immer 500 Euro beiseite gelegt. Eine Woche vor dem Start habe ich jemandem aus Berlin noch geschrieben,  Dennis – er ist auch ein Radfahrer und hat ein bisschen Reichweite und er hat eine Gruppenausfahrt organisiert. Wir haben uns am Brandenburger Tor getroffen und die haben mich dann noch 30, 40 Kilometer begleitetes, es war wunderschön so zu starten. 

Gab es da anfangs Kritik, gab es Leute, Freunde, Familie, Bekannte, die gesagt haben, ok, das ist schon ziemlich krass, was du machst, bist du dir da sicher? Also meine Familie hat mich schräg angeguckt als ich gesagt habe, ich möchte um die Welt fahren.  Ich glaube, da waren sie sehr erleichtert, dass ich dann gesagt habe, ich bleibe nur in Europa.  Meine Familie steht dann eigentlich immer oft hinter mir und hat einfach mich machen lassen.

Bist du primär gezeltet oder warst du bei Gastfamilien untergebracht? Wie hast du das geregelt?
Also ich habe ein Zelt dabei gehabt und ich mag es eigentlich für Equipment Geld auszugeben, aber für Unterkünfte auf jeden Fall nicht, geschweige denn für Zeltplätze, die sind mir zu teuer, da achte ich sehr auf’s Geld und auch die Tour wollte ich eigentlich low-budget angehen. Ich bin zwar ein Gearjunkie, aber alles andere darf dann kein Geld kosten. Ich habe früh angefangen irgendwo draußen zu schlafen, bin halt auch manchmal während der Schulzeit einfach zum Liebnitzsee gefahren und hab dort meine Hängematte aufgebaut und einfach eine Nacht geschlafen und bin dann am Morgen schnell zur Schule. Dadurch bin ich glaube ein bisschen abgehärtet und hab halt das Vertrauen in die Menschheit, dass nichts passiert.  

In Belgien bin ich auf den Berg rauf und hatte einen wunderschönen Sonnenuntergang und wollte dort mein Zelt aufbauen. Dann kam da ein Auto vorgefahren und ich dachte, oh nee, jetzt ein Bauer, der schimpft mit mir.  Das war ein Einheimischer, der einfach nur schauen wollte, ob man da gut Paragleiten kann. Dann kamen wir ins Gespräch, und er meinte, er sei schon mal nach Japan gefahren mit dem Rad und er kennt die Situation und ob ich nicht mit ihm zu ihm nach Hause kommen möchte, seine Familie kommt auch bald nach Hause. Sie haben mir Essen gekocht und ich durfte in einem zweites Häuschen auf dem Grundstück schlafen. Am nächsten Tag gab es Croissants zum Frühstück, was bei meinem low-budget schon richtig Luxus war. Ich habe gefragt, ob ich noch einen Tag bleiben darf und regenerieren darf. An dem Tag habe ich mit seinem kleinen Kind gespielt, zwar gab es eine sprachliche Barriere, das kleine Kind konnte kein Englisch und ich auch nicht wirklich gut, aber es hat trotzdem irgendwie gepasst.

Ein Nachteil an einer Radreise ist, dass man halt Gepäck hat, was man nicht irgendwo stehen lassen kann, um dann irgendwie noch die Stadt zu erkunden, man muss halt immer das Rad dabei haben. Meine Mutter hatte aber angeboten, mir ein Airbnb zu mieten, weil ich sonst Städte eher meide und nur schnell durch sie hindurch fahre. Aber in Paris habe ich mir einen Airbnb gemietet für eine Nacht und habe in der Nacht dann Paris erkundet und bin mit der Metro gefahren und eineinhalb Stunden am Eiffelturm angestanden. Eigentlich war er ab der dritten Etage ausgebucht, aber kurz vorher haben sie die Etage wieder geöffnet – dann durfte ich auch mal ein bisschen Treppen steigen, mal ein bisschen andere Bewegung für den Körper, mit meinen Radschuhen habe ich dann Paris erkundet. In Bordeaux, da habe ich mir dann tatsächlich auch vier Tage Zeit gelassen, da kam dann meine Freundin mit dem Flugzeug und wir haben gemeinsam Zeit verbracht und Bordeaux erkundet.

Wie viele Tage warst du dann insgesamt unterwegs? 

Ich war 68 Tage unterwegs und hatte am Ende 6200 Kilometer. Im Sommer davor habe im beim Triathlon von Jonas Deichmann einen Tag mitgemacht. Dafür habe ich nicht so viel trainiert und danach ist mein Körper total runtergefahren, sodass ich den Husten meiner Schwester aufgenommen habe. Das ging dann nicht weg, sodass ich den Sommerlang Husten hatte und so bin ich geschwächt in die Tour gestartet. Ich war noch krank und ich glaube das war nicht so gut. Es hat mir viel Energie geraubt  und ab Amsterdam habe ich auch Ohrenschmerzen bekommen auf einem Ohr. Es wurde immer schlimmer und ich habe irgendwann nichts mehr auf dem linken Ohr gehört. Das ging dann ganz Spanien durch und dann bin ich halt mal in Porto zum Arzt gegangen.  Es stellt sich heraus, ich hatte eine Mittelohrentzündung, die aber nicht weh tat. Ich hatte dann einfach nichts mehr gehört auf dem Ohr. Meine Nasennebenhöhlen waren zu. Ich habe dann viele Medikamente bekommen, sei es Nasenspülungen, irgendwelche Tropfen und Tabletten, Antibiotika. Ich glaube in sich haben die Medikamente 50 Euro gekostet und der Halsnasenohrenarzt auch nochmal 95€, was halt extrem viel war.  

Und da kommen wir zur nächsten großen Herausforderung, dass ich vor der Tour nicht wirklich eine Auslandskrankenversicherung gefunden habe.  Kurz vor Niederlande habe ich dann endlich eine gefunden, die ich mir auch gekauft habe. Normalerweise kostet eine Auslandskrankenversicherung 20 Euro im Jahr, aber die Reise geht alle nur bis 50 Tage. Ich habe mir eigentlich vorgenommen, die Reise online zu posten, jeden Tag einen Bericht zu schreiben, Fotos hochzuladen.  Weshalb ich ja nicht einfach sagen kann, ok, ich kaufe jetzt mir die für 20 Euro und sage einfach, ich bin erst 40 Tage unterwegs.  Und man musste dann bei der Auslandskrankenversicherung für 2,30 Euro am Tag die kaufen. Also ich habe dann mir vor einem Jahr, also 800 Euro musste ich dann dafür blechen. Aber beim HNO hat die Auslandskrankenversicherung eingegriffen und dann habe ich meine 95 Euro wiederbekommen. 

Ich war dann sehr stolz darauf, dass ich es mir doch dann gekauft habe. Aber ja, genau, das war auch eine Herausforderung, jeden Tag einen Bericht hochzuladen.  Ich habe am Anfang mir vorgenommen, jeden Tag ein Reel zu machen, wo ich dann auch spreche. Das habe ich auf Instagram schon mal gesehen und habe auch den ersten Tag viel in die Kamera gesprochen.  Das kam mir aber so komisch bevor, dass ich es nach dem zweiten Tag dann gelassen habe. Ich habe LHS, also Leserrechtscheibschwäche und ich mag eigentlich überhaupt gar kein Schreiben und Lesen. Und dann habe ich Chat-GPT verwendet, um mir meine Tagesberichte zu schreiben. Dann habe ich ihm immer meistens eine 4 Minuten Audio gegeben, wo er dann zusammengefasst hat den Tag und ich das dann bei Instagram hochladen konnte.  

Du hast jetzt relativ lange auch über dein Kranksein während der Tour geredet.  Würdest du sagen, das war schon somit deine größte Herausforderung oder war das halt die Mischung aus allem? Komm’ ich von A nach B, wo besorge ich das Essen, wo schlafe ich und so weiter? 

Also, Essen und Schlafen war keine Herausforderung. Was halt wirklich die größte Herausforderung war, war glaube ich, dass die Krankheit sehr viel gezerrt hat.  Aber in dem Moment war mir das nicht so bewusst, glaube ich.

Du warst ja jetzt mehrere Monate ganz alleine unterwegs – wie war das so für dich? 

Das Alleine-Sein war auch eine sehr große Herausforderung für mich. Es geht, mal so 7 Tage eine Tour zu machen und alleine zu sein, das ist voll in Ordnung.  Aber ich glaube, es ist halt wunderschön, wenn man auch jemanden hat, mit dem man alles teilen kann. Ich habe zwar alles auf Instagram geteilt, aber da habe ich mal so einen Daumen hoch  oder einen Like bekommen oder mal einen Kommentar. Da kam halt das Feedback immer erst super spät und wenn man halt mit jemandem zusammen  ist, glaube ich, bekommt man halt Feedback sofort.  Was halt auch wunderschön war ist, dass ich 3 Tage mit jemanden zusammengefahren bin. Da habe ich Max getroffen und wir haben ein bisschen gequatscht und dann haben wir uns gesagt, lass uns mal zusammenfahren. Wir haben viel zusammengeteilt, ich habe da das erste Mal irgendwie am Tag Pausen gemacht. Ich bin sonst mal jeden Tag durchgefahren. 

Der Abend war atemberaubend, als wir dann halt irgendwo an der Ruine ankamen und meinten so, ok, wir bleiben nur kurz hier, wir schauen uns das an und wenn es vielleicht schön ist,  dann können wir ja auch hier schlafen. Genau in dem Moment waren wir dann so am Wasser kurz vor Spanien – und auf einmal waren Delfine am Wasser. Mein Englisch ist zwar nicht das beste, aber wir haben trotzdem zusammen gelacht und es war einfach wunderschön, mir kamen fast die Tränen. Und wenn man die ganze Zeit alleine wäre, wäre es nicht so schön gewesen.

Was würdest du jungen Menschen oder Menschen meinen, die sowas auch unternehmen wollen? Hast du Top 3 Tipps, denen du ihnen mit auf den Weg gehen würdest?

Ja, ich würde einfach sagen, einfach mal anfangen und machen. Nicht so viel planen, einfach losfahren.  Ja, man soll schon schauen, was man für Equipment hat, aber man braucht nicht das beste Equipment. Es geht auch mit günstigem Equipment und man muss nicht immer draußen schlafen. Man kann ja auch erst mal klein anfangen und irgendwo sich eine Unterkunft holen. 

Vielen Dank, dass du die Zeit genommen hast.

Gerne. 

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