27, April, 2024
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Der Tod des Pazifismus

Der Pazifismus ist tot, wir haben ihn getötet (bleibt er tot?). In ruhigen Zeiten ist doch fast jeder Pazifist. Wenn Frieden an allen Fronten herrscht, wer ruft dann nach Krieg? So haben wir uns in unseren gemütlichen westlichen Demokratien lange vorgemacht, irgendwie sei doch alles in Ordnung. Die Menschheit ist über die primitive Praxis des Krieges hinausgewachsen, wir haben aus dem zwanzigsten Jahrhundert gelernt und jetzt wird es solche Abscheulichkeiten einfach nicht mehr geben. Ganz zu schweigen davon, dass es nach dem Fall der Sowjetunion (der ja oft als Zeitpunkt genannt wird, an dem die Ära der Kriege endete) schon zahlreiche weitere Kriege im Kosovo, Iran, Irak, Syrien und Afghanistan (und das sind nur die prominentesten Beispiele) gab, ist vor allem die Attitüde der Staaten gleichgeblieben.

 Zwar wurden in den 90ern einige Atomwaffensperrverträge unterzeichnet und der Internationale Gerichtshof erklärte 1996 den Besitz von Atomwaffen sogar als illegal, die Realität sieht jedoch wieder einmal anders aus. Zwar hat sich der weltweite Atomwaffenbestand von seiner Höchstanzahl 1986 (70.300) mittlerweile auf 12.705 reduziert (Der Staat mit den meisten Atomsprengköpfen ist übrigens Russland), jedoch ändert das wenig an der generellen Lage beim Thema weltweite Militarisierung. Denn mittlerweile ersetzen die Großmächte ihre teuren und verstaubten Atomwaffen lieber mit neueren Technologien, wie mit künstlicher Intelligenz betriebene Drohnen oder Raketen mit Hyperschallgeschwindigkeit. Auch ganz allgemein wird fast überall auf der Welt aufgerüstet. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut bezifferte die weltweiten Verteidigungsausgaben 2009 auf 1,531 Billionen US-Dollar, ein Anstieg von +49% vom Jahr 2000. Aktuellste Schätzungen rechnen mit 2 Billionen USD. Selbst in der Corona-Pandemie hatten die Staaten dieser Erde noch das Geld übrig, um den Verteidigungsetat weiter zu erhöhen.

Lange gab es zumindest eine scheinbare politische Opposition gegen diesen Aufrüstungstrend. Mit den Grünen hat im letzten Jahr eine Partei die Regierungsmacht erlangt, die unter anderem durch das Propagieren eines radikalen Pazifismus überhaupt relevant geworden ist. Doch auch diese Tendenzen sind jetzt völlig verflogen, nicht nur bei den Grünen. Der ganze Bundestag (mit vereinzelten Ausnahmen, hauptsächlich bei der Linkspartei) applaudierte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Bekanntgabe der Erhöhung des Budgets für die Bundeswehr um 100 Milliarden Euro. In dieser Debatte, die schon länger relevant ist, jetzt aber natürlich durch den Ukraine-Krieg allerhöchste Priorität erlangte, wurde vor allem von Seiten der Christdemokraten immer mit der Rhetorik argumentiert: „guckt euch mal die Bundeswehr an, die ist ja so schlecht, da funktioniert nichts, weil alles so unfassbar untersubventioniert ist.“ Tatsache ist aber, dass Deutschland weiterhin Platz 7 weltweit in Sachen jährliche Rüstungsausgaben belegt. Von 2010 bis 2020 ist er um mehr als 10 Milliarden Euro angestiegen. Das Problem der Bundeswehr war nie das fehlende Budget, sondern die Standards beim Thema Modernisierung und Digitalisierung.

Doch zurück zum Thema Pazifismus. Was will ich mit diesen ganzen Statistiken eigentlich aussagen? Das Staaten nicht abrüsten, wenn man sie nicht dazu drängt? Das ist so offensichtlich, darüber hätte ich keinen Artikel schreiben müssen. Was mich wirklich stört, ist, dass im Zuge des Ukraine-Konflikts die Aufrüstungsrhetorik voll und ganz in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die Augsburger Allgemeine begrüßten 74% der Befragten die zusätzlichen 100 Milliarden für die Bundeswehr. Mit Russland haben wir jetzt wieder einen großen feindlichen Aggressor, den es unbedingt zu besiegen gilt. Also ist es doch völlig berechtigt, dass wir jetzt erstmal noch tiefer in die Staatskasse greifen, um noch weiter aufzurüsten, als hätte das irgendwann mal irgendwelche Probleme gelöst. Wenn man diese gesamte Rhetorik, die vor allem von US-Präsident Biden lautstark vertreten wird, mal genauer analysiert, findet man eine verblüffende Argumentationsstruktur vor, die nicht erst seit gestern geäußert wird. Aggressor X fängt einen Krieg gegen Land Z an. Wir werden jetzt überhaupt nicht die Hintergründe dieses Konflikts erwähnen, sondern betrachten ihn als komplett gesonderte Aggression vom restlichen Geschehen. Hier ist die Situation klar. Land X ist der Aggressor und ist ganz allein an allem schuld, deswegen müssen sie besiegt werden, komme was wolle. Danach kehrt alles zur Normalität zurück und wir warten bis zum nächsten Konflikt.

Es geht bei dieser Rhetorik nicht um Frieden oder um Stabilität für die Demokratie, sondern um die Sicherstellung der eigenen Macht. Würde es tatsächlich um die eben genannten Dinge gehen, würden wir nicht bei der ersten Hürde die Diplomatie aus dem Fenster werfen und vielleicht endlich mal einsehen, dass Krieg nicht durch mehr Krieg gestoppt wird.

In the fields, the bodies burning, as the war machine keeps turning” (Black Sabbath – War Pigs)

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