27, April, 2024
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Denkmalsturz – geeignetes Mittel im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung?

Gegen Rassismus werden Demos organisiert, Workshops durchgeführt, Petitionen gestartet, Reden gehalten, aber zuweilen auch Denkmäler und Statuen beschädigt oder zerstört. Ob dies, wie einige meinen, geeignetes Mittel im Kampf gegen rassistische Diskriminierung ist, oder ob damit ein prinzipiell lehrreicher Teil der eigenen Geschichte ‚gecancelt‘ wird, diskutiert dieser Artikel. 

Das wohl bekannteste Beispiel einer solchen Demontage ist der Abriss der Statue Edward Colstons in Bristol, die 1895, also vor 126 Jahren, dort aufgestellt worden war, um an den Ruf des britischen Unternehmers und Politikers als Philanthrop zu erinnern. Seit 1990 wird über die moralische Angemessenheit einer solchen ‚Verehrung‘ Colstons (1636-1721) diskutiert, da dieser sich auch als Sklavenhändler unrühmlich hervorgetan hatte. Im Mai 2019 sollte der Statue daher eine Plakette beigefügt werden, um Colstons widersprüchliche, aus heutiger Sicht fragwürdige Handlungen historisch zu kontextualisieren; allerdings wurde dies nie umgesetzt. Dann beschmierten Demonstranten, assoziiert mit der ‚Black Lives Matter‘-Bewegung, die Statue, rissen sie am 7. Juni 2020 ab und beförderten sie in Bristols Hafen.

Das sorgte natürlich für hitzige öffentliche Debatten und viel Aufmerksamkeit, welche genutzt wurde, um temporär eine Statue der BLM-Demonstrantin Jen Reid anstelle der Colston-Statue aufzustellen, nachdem diese in den vorausliegenden Wochen Reden auf dem leeren Sockel gehalten hatte. Diese Aktion sei schon mehre Wochen in Planung gewesen, solle das antikolonialistische Anliegen der BLM-Bewegung repräsentieren und die Diskussion am Laufen halten, so Reid. Aufgrund fehlender Genehmigungen wurde die neue Statue schon 24 Stunden später abtransportiert. Dessen ungeachtet folgten diesem Beispiel auch andere Personen, denn in den folgenden Wochen wurden weitere Statuen in London, Bristol und Minnesota abgerissen und in Flüsse geworfen. 

Die hierbei verfolgte erinnerungspolitische Strategie ist nicht neu. Schon in der Antike wurden Statuen unliebsamer Herrscher und Politiker der Vergangenheit beschädigt, deren Konterfei wurde unkenntlich gemacht: Eine solche ‚damnatio memoriae‘ (lateinisch für „Verdammung des Andenkens“) bedeutete die Verfluchung und demonstrative Tilgung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt.

Ein Denkmal ist – um die Duden-Definition aufzugreifen – eine „zum Gedächtnis an eine Person oder ein Ereignis errichtete, größere plastische Darstellung“, die öffentlich zugänglich sein muss. Deren Funktion ist primär, etwas oder jemanden in der kollektiven Erinnerung zu bewahren. Wer oder was eines solchen Gedächtnisses für würdig befunden wird, hängt dabei maßgeblich von den jeweiligen soziokulturellen Umständen ab. Denkmäler sind daher nicht nur zu einer bestimmten Zeit, sondern zugleich auch immer – meist von den herrschenden Klassen und auf Basis bestimmter Ideale und Wertvorstellungen – für diese Zeit geschaffene Symbolpolitik.

Denkmäler dienen nicht zwingend der Glorifizierung von Ereignissen oder Personen oder als kulturpädagogische Mittel zur Erziehung der Bevölkerung im Geiste des und in Orientierung am Dargestellten. Mahnmale etwa setzen eine negative Wertung des thematisierten oder dargestellten Sachverhalts voraus und sollen diesen gleichsam mit abschreckender Wirkung als unrühmlichen Teil der eigenen Geschichte im kulturellen Gedächtnis bewahren.

Gleichwohl sind viele Denkmäler im gewissem Sinne Mittel der Glorifizierung. Und in Deutschland, Europa und der Welt finden sich viele Statuen von Personen, die aus heutiger Sicht inakzeptable Überzeugungen und Einstellungen hatten, durch ihr Handeln gegen heute geltende Rechts- und Moralprinzipien verstoßen haben oder uns (allen, vielen, einigen) in anderer Hinsicht ‚problematisch‘ erscheinen. In Berlin finden sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt rund 290 Statuen und Straßennamen, die an Personen erinnern, welche sich in Denken und/oder Handeln antisemitisch hervorgetan haben.

Die Demonstranten in Bristol rissen die Statue ab, da diese, wie es hieß, ,,eine inakzeptable Art und Weise war, sich an der politischen Debatte zu beteiligen“. Im Grunde fand man es unerträglich, öffentlich errichtete Objekte fest in Kultur und Stadtbild verankert zu sehen, mit denen Personen in ein positives Licht gerückt oder als des Nacheiferns würdige Vorbilder präsentiert wurden, obwohl diese nachweislich rassistische Überzeugungen vertreten oder sich gar – z.B. als Sklavenhändler – diskriminierend geäußert und verhalten hatten.

Man muss allerdings bedenken, dass sich Wertvorstellungen und Normen seither beträchtlich verändert haben: Die meisten Statuen oder Straßennamen stammen aus einer Zeit, in der es üblich oder zumindest normal war Antisemit zu sein. Zudem sollten die betreffenden Personen nicht nur auf ihre antisemitischen Einstellungen reduziert werden: Martin Luther, Richard Wagner oder Karl Marx waren nicht nur Antisemiten, sondern auch Reformatoren und Übersetzer, einflussreiche Komponisten oder bedeutende Philosophen und Gesellschaftstheoretiker. Und die diesen Personen gewidmeten Denkmäler wurden nicht aufgerichtet, weil sondern ungeachtet der Tatsache, dass diese Antisemiten waren. Die Funktion der Denkmäler ist nicht, menschenverachtende Weltanschauung und Rassismus zu glorifizieren. Es ist auch unwahrscheinlich, dass durch die Denkmäler die Akzeptanz gegenüber bestimmten Weltanschauungen zunähme oder Menschen durch das Betrachten z.B. einer Luther-Statue dazu verleitet würden, Rassisten oder Antisemiten zu werden.

Mit der passenden Kontextualisierung wäre es umstandslos möglich, die ursprünglich auf Wertschätzung bedeutender Persönlichkeiten abzielenden Statuen – in Gänze oder in Teilen – zu Mahnmalen umzuwidmen, die sich kritisch mit den negativen und widersprüchlichen Aspekten deutsche Geschichte auseinandersetzen.

Es ist im Übrigen fraglich, ob das Entfernen ‚problematischer‘ Denkmäler überhaupt das eigentliche Problem löst, welches darin besteht, dass auch heutzutage noch viele Menschen diskriminierende Überzeugungen haben oder entsprechend handeln. Manche behaupten sogar, dass westeuropäische Gesellschaften ‚systemisch‘ rassistisch sind, also ihrem inneren Wesen nach. Aber inwiefern nun das Abreißen einer – vor etwaigen Protesten überwiegend unbeachteten – historischen Statue dieses Problem löst oder trägt auch nur in einer spürbaren Weise dazu bei? Wohl eher wenig bis gar nicht. Es werden keine diskriminierenden Gesetze abgeschafft, keine Schüler aufgeklärt, keine gesellschaftlichen Wertvorstellungen signifikant verändert oder die weiterhin zu hohe Anzahl alltagsrassistischer Verhaltensweisen merklich reduziert.

Zweifellos ist es positiv zu bewerten, dass es heutzutage einen gewissen Druck gibt, Objekte aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, welche i.w.S. rassistische oder menschenverachtende Implikationen besitzen, denn dies zeigt einen begrüßenswerten Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Es ist positiv zu bewerten, dass sich die Gesellschaft insgesamt so sehr zum Guten gewandelt hat, dass Druck besteht, Gleichberechtigung zu schaffen.

Aber Pragmatismus und Augenmaß tun Not: Wollte man alle 290 Straßennamen und Statuen in Berlin modifizieren, wäre dies ein gewaltiger organisatorischer Aufwand und mit hohen Kosten verbunden. Bei den Straßennamen käme noch hinzu, dass auch Ausweise, Pässe und Adressdaten geändert werden müssten – wer wäre dazu bereit? Wer wäre dazu bereit, feste Bestandteile des Stadtbilds derart nachhaltig zu verändern? In manchen Städten sind Denkmäler geradezu Sehenswürdigkeiten, Teil der Stadtkultur. Man denke nur an Luthers Wirkungsstätte Wittenberg oder Wagners Bayreuth.

Insgesamt denke ich, dass der Denkmalsturz die falsche Herangehensweise ist, denn am eigentlichen Problem wird nichts Wesentliches geändert, man beschränkt sich vielmehr auf öffentlichkeitswirksam-provokatives Symbolhandeln — und stellt zum Teil wohl auch sich selbst als moralisch überlegen auf einen Sockel. Zwar zeigen derlei Aktionen eine positive gesellschaftliche Entwicklung auf, sind indes nicht zielführend und effizient genug, um wirklich illegalen Vandalismus in der öffentlichen Sphäre zu rechtfertigen. Vor allem auch wären andere Vorgehensweisen effektiver, ohne Teile des Stadtbildes zu zerstören, Personen auf negative Eigenschaften zu reduzieren oder etwas zu entfernen, das uns (mit der richtigen Kontextualisierung und Debatte) auf aktuelle Probleme aufmerksam machen könnte, denn: Geschichte wird – zumindest manchmal – erzählt, damit sie sich nicht wiederholt.

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