19, Mai, 2025
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Modetrend oder Mentalitätswandel?

Samstagnachmittag in Berlin. Die Sonne kämpft sich zaghaft durch die grauen Wolken, aber auf ein Leuchten ist immer Verlass. Die Schaufenster der Stadt strahlen hell und das egal zu welcher Tageszeit. Darin, wie bunte Farbtupfer, die neuesten Kollektionen. Kleider, die eine stille, aber unmissverständliche Botschaft aussenden: „Du brauchst mich. Dein Leben wird besser durch mich.“ Und wer könnte widersprechen, in einer Welt, in der ein neues Outfit oft wie ein unbeschriebenes Blatt erscheint, die Möglichkeit sich neu zu erfinden, seine Selbstwahrnehmung zu verändern, immer und immer wieder?

Doch in letzter Zeit, inmitten all der trendigen Tops und perfekt drapierten Stoffe, drängt sich eine Frage auf die so nervig ist wie ein Ohrwurm eines Songs, den man eigentlich gar nicht mag: Sind wir nicht kollektiv ein wenig… abhängig geworden? Abhängig von der ständigen Zufuhr des Neuen, dem prickelnden Gefühl des gerade Erworbenen, dem vermeintlichen „Must-Have“ eines jeden Trends? Ein Blick in die Friedrichstraße genügt um zahlreiche Menschen zu beobachten, die mit prall gefüllten Tüten aus den Geschäften kommen. Ist es tatsächlich die tiefe Freude am Besitz, die sie antreibt, oder vielmehr die flüchtige Genugtuung, die so schnell verblasst, wie das Knistern des Bons, den man hastig mit in die 10-Cent-Papiertüte schiebt? Dieses kurzzeitige Hochgefühl, das unausweichlich dem nächsten Verlangen weicht, sobald das Preisschild entfernt und das neue Stück in den bereits gut gefüllten Schrank verstaut wurde. Und so beginnt der Kreislauf von neuem. Fühlt sich so endlos an… Auch wenn der Schrank es leider nicht ist.

Nun, es gibt da aber noch etwas anderes zu beobachten. Da ist diese unübersehbare Neigung hin zum Secondhand. Vintage.Plötzlich wird das, was einst als pragmatische Lösung galt, zum stilistischen Statement. Ein Ausdruck von Nachhaltigkeitsbestreben, von dem Wunsch nach Individualität, von einem reflektierteren Umgang mit Ressourcen. „The 90s are back bitch!“ könnte man fast als Schlachtruf einer neuen Konsumära bezeichnen. Berlins Secondhand-Handel boomt. In den vergangenen Jahren hat sich die Bewegung, Kleidung gebraucht zu kaufen, auch in den Modetrends der Jugend etabliert und ist kaum mehr wegzudenken. Vintage ist „in“, und die Leidenschaft, Schmuckstücke aus vergangenen Zeiten auf dem Flohmarkt oder im Netz zu ergattern, hat einen Großteil der Berliner Jugend infiziert. Und wer keine Lust auf Flohmarktgänge hat, kein Problem, Vintage Läden gibt es genug! Es hat etwas Anziehendes, durch die sorgfältig geordneten Läden in den charmanten Vierteln der Stadt zu streifen, Geschichten in abgetragenen Stoffen zu entdecken und einzigartige Stücke zu finden, die sich erfrischenderweise, von der uniformen Masseabheben. Dass die Kleidung zuvor schon einmal getragen wurde, ist zweitrangig. Einzigartigkeit steht im Mittelpunkt!

Ja, ist das denn nun tatsächlich ein Ausbruch aus dem allgegenwärtigen Konsumkreislauf? Oder erlebt man hier lediglich einen Wechsel des „Schauplatzes der Begierde“? Kleidung ein zweites Leben zu geben, ist grundsätzlich eine begrüßenswerte Entwicklung, jedoch lassen sich auch hier Tendenzen des Überkonsums beobachten, wenn auch hier gilt: kaufen, kaufen, kaufen.

Auch im Secondhand-Bereich locken ausgewählte Kollektionen und gefragte Stücke,die genau den Nerv der Zeit, aka den Nerv des Insta-Algorithmus, treffen. Die Ähnlichkeit zur Konsumgesellschaft der konventionellen Kleidungsbranche ist unübersehbar.

Die gleichen psychologischen Mechanismen scheinen auf subtile Weise zu bleiben: die ständige Angst, etwas zu verpassen, das unterschwellige Bedürfnis nach dem Besonderen, dem Objekt, das niemand sonst hat.

Und wirtschaftlich? Naja, was einst eine Bewegung von unten war, professionalisiert und kommerzialisiert sich weiter und weiter. Mächtige Online-Plattformen für gebrauchte Mode entstehen, mit Preisgestaltungen, die sich kaum von Neuware unterscheiden. Flohmärkte, überflutet von kommerziellen Ständen, deren Betreiber wahrscheinlich genauso viel soziale Medien konsumieren wie die Jugend unserer Gesellschaft, um eine solche Treffgenauigkeit der Trends auf ihren Tischen zu erzielen. Handelt es sich hierbei noch um eine echte Rebellion gegen den Konsum von Fast Fashion oder um eine ausgeklügelte Strategie, dem Konsumenten auf einem neuen Weg das Geld aus der Tasche zu ziehen?

Es stellt sich die Frage: Ist eine nachhaltige Veränderung des Konsumverhaltens überhaupt möglich, solange die eigentliche Verlockung das permanente „Neue“ ist? Solange Trends schneller entstehen und wieder verschwinden als Fahrräder an Berliner Bahnhöfen? Ist Secondhand die ersehnte Antwort oder lediglich ein weiteres Symptom einer scheinbar unstillbaren Sehnsucht nach… etwas Unbestimmtem?

Vielleicht liegt der eigentliche Wendepunkt nicht in der Art der erworbenen Güter, sondern vielmehr in der Art und Weise, wie wir ihren Wert und unsere Beziehung zu ihnen definieren. Ob fabrikneu oder mit schonmal-in-den-90s-in Charme, vielleicht wäre es heilsam, sich häufiger zu fragen: Erfülle ich damit ein tatsächliches Bedürfnis? Trägt es zu meinem Wohlbefinden bei? Oder ist es lediglich ein weiterer, unbewusster Versuch, eine innere Leere zu bekleiden, die weit tiefer reicht als ein überfüllter Kleiderschrank? Eine Hoffnung auf eine nachfolgende Generation, die Mode weniger als vergängliches Konsumgut, sondern vielmehr als Ausdruck von Individualität und gelebter Geschichte betrachtet, bleibt.

Tja, und so geht die Suche weiter. Nach dem perfekten Kleidungsstück – und vielleicht auch nach einem tieferen Verständnis für die eigenen Motive in dieser schnelllebigen, konsumorientierten Welt.
Denn letztendlich scheint die entscheidende Frage weniger zu lauten, was wir tragen, sondern vielmehr, wer wir sind, während wir es tun.

von Francesca Schneider

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