Der September ist angebrochen und es sind nicht einmal mehr zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Seit einiger Zeit ist die SPD in den Umfragen stärkste Kraft (eine von INSA geführte Umfrage vom 10.09. führt die Sozialdemokraten auf Platz Eins mit 26%, dahinter Union mit 20%, Grüne mit nur 15%) und auch die Beliebtheitswerte von Kanzlerkandidat Olaf Scholz sind hoch. Diese mit Hinblick auf die letzten Wahlergebnisse der SPD (20,5% bei der Bundestagswahl 2017, 15,8% bei der Europawahl 2019) überraschende Entwicklung läutet die heiße Phase des Wahlkampfs ein. Deswegen rücken auch Fragen nach möglichen Regierungskoalitionen in den Vordergrund. Schon im April äußerten sich parteiinterne Größen der SPD wie der Parteivorsitzende Frank Walter-Borjans negativ gegenüber einer erneuten Zusammenarbeit mit der CDU. Auch das Parteiprogramm ist ein Versuch einer Kursänderung. Stramm nach Links und vor allem weit weg vom Status GroKo (no pun intended). Eine neue Regierung unter neuer Führung scheint absehbar, vor allem, weil die Fauxpas und die daraus resultierenden Umfragewerte von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet Wählerinnen und Wählern der Christdemokraten keine Hoffnung machen sollten und klar aufzeigen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung einen politischen Richtungswechsel anstrebt. Wie könnte also eine sozialdemokratisch-geführte Regierung aussehen?
Wer, mit wem?
Fakt ist, eine Zweierkoalition, egal in welcher Konstellation, scheint sehr unwahrscheinlich. Das mit dem Umfragetief der CDU ebenfalls einhergehende Umfragetief der Grünen macht vor allem die Unbeliebtheit der jeweiligen Kandidatinnen bzw. Kandidaten auf das Kanzleramt evident. Auch die starken Umfragewerte der FDP (zuletzt bei um die 13%) führen zu einer immer gleichwerdenden Verteilung der Stimmen unter den stärksten Parteien. Wenn die SPD also nicht mit der CDU will, brauch sie zwei andere Parteien zur Regierungsbildung. Die erste Kandidatin liegt auf der Hand. Die Grünen mit ihrem holprigen Wahlkampf haben dank der SPD weiterhin gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Ein Rot-Grüner Flirt bahnt sich an. Robert Habeck sprach sich gegenüber der Welt für eine Koalition mit der SPD aus, die ihnen „auf dem Papier“ in sozialpolitischen Themen zum Beispiel näherstünde als die CDU. Die Grünen greifen nach politischer Macht, die ihnen wahrscheinlich nur die SPD geben kann. Eine zweite Partei wäre also gefunden, aber wer kommt als Nummer Drei in Frage? Die CDU (wie schon geklärt) nicht, die verhassten Rechten von der AfD schon gar nicht. Bleiben also noch Linkspartei und Liberale. Eine sogenannte Ampelkoalition (also SPD, Grüne, FDP) lässt Erinnerungen (die ich nicht habe) aus Schmidt- und Brandtzeiten wieder hochkommen, wäre jedoch dank der angedeuteten Anti-Steuererhöhungs- und Anti-Staatsvergrößerungspolitik der FDP sicherlich schwierig umsetzbar. Außerdem hat Christian Lindner in jüngster Vergangenheit mehrmals betont, er gehe davon aus, dass die CDU Regierungsführer werden wird (anscheinend liest er keine Umfragen). Vor allem in Hinblick auf Vorschläge der Grünen wie einem Klimaministerium mit Vetorecht scheint die Ampel alles andere als ein „match made in heaven“. Ich glaube, die Linkspartei passt deutlich besser zu Rot-Grün und ich glaube auch, sie passt den Parteien besser. Warum Rot-Rot-Grün nicht nur passend, sondern auch wahrscheinlich ist und welche Implikationen so eine Koalition für die politische Zukunft Deutschlands hätte, möchte ich einmal lang und breit (und natürlich aus meiner Sichtweise) erläutern.
Die Linken und das Klima
Ganz trocken betrachtet ist die jetzige Situation innerhalb der Linkspartei alles andere als rosig. In den Umfragen schrammt man an der Fünf-Prozent-Hürde, die Stimmung ist alles andere als entspannt, vor allem dank Sahra Wagenknecht und ihrer vehementen Kritik am eigenen Parteikurs. Außerdem hagelt es in letzter Zeit Kritik im Zuge der Situation in Afghanistan, weil sich die Linksfraktion im Bundestag bei der Entscheidung, weitere Ortskräfte zu retten, enthalten hatte. Trotzdem stehen die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung gut, aus zwei einfachen Gründen. Erstens, weil die Linken radikal beim Klimaschutz auftreten. Der klimapolitische Kurs geht ganz klar Richtung Ordnungspolitik und staatlicher Lenkung. Die Enteignung von Energiekonzernen, das Verbot von Neuzulassungen für Verbrennungsmotoren ab 2030 und die Einführung einer Vermögenssteuer zur Finanzierung dieser Klimapolitik sind nur einige Beispiele aus einem Klimaschutzprogramm, welches von der Partei unter anderem mit den Worten „Klare Regeln und Vorgaben für radikalen Klimaschutz“ beschrieben wird. Diese Radikalität erweckt den Anschein, man würde Klimaschutz um jeden Preis anstreben und das ist genau das, was vor allem junge Wählerinnen und Wähler interessiert und anzieht. Diese Radikalität beim Klimaschutz übt gekonnt Druck auf SPD und Grüne aus. Wenn sie sich für eine Koalition mit der FDP entscheiden würden, würde das auf viele Anhängerinnen und Anhänger so wirken, als meine man es nicht so ernst mit dem Klima. Dieser Druck spielt den Linken in die Karten. Dann wäre da noch der Fakt, dass die Linken die Parteibasis der SPD anspricht. Dass die Sozialdemokraten in den letzten Jahrzehnten immer näher an die CDU herangerückt sind, ist kein Geheimnis. Rufe nach einem Umschwung zurück zu einem offen demokratisch-sozialistischen Kurs werden schon länger immer lauter, jetzt steht die SPD vor einer großen Entscheidung. Man kann die Zügel endlich wieder selbst in die Hand nehmen und so auch den Kurs einer Regierung maßgeblich mitbestimmen, anstatt immer nur zweite Geige zu spielen. Ein Bündnis mit der Linkspartei würde die SPD wieder richtig links machen und genau deswegen glaube ich auch, macht das Rot-Rot-Grün so wahrscheinlich. Es wäre die Entfesselung der linken (bzw. eher linkeren) Parteien, die nicht mehr von Konservativen und Liberalen in ihrem wirtschaftlichen Kurs verhindert werden würden. Zugegeben, diese Formulierungen sind ein wenig überschwänglich, ein Linksruck innerhalb der Parteien und in der deutschen Politik generell ist jedoch absehbar, sollte es denn zu Rot-Rot-Grün kommen. Aber würde eine solche Regierung denn auch die gewünschten Ergebnisse erzielen? Es folgt ein kritischer Blick auf die wirtschafts- und klimapolitische Ideologie von Rot-Rot-Grün.
Kritikpunkt 1: staatlicher Dirigismus beim Klimaschutz
Wie schon erwähnt setzen die Linken in ihrem Wahlprogramm auf eine radikale Herangehensweise beim Klimaschutz. Der Staat soll die Zügel in die Hand nehmen, die Ziele sollen vor allem durch Vorschriften und Regulierungen erreicht werden. Zugegeben, so etwas von den Linken zu hören ist weniger überraschend, was jedoch so manch einen überraschen könnte, ist, dass SPD und vor allem Grüne der Linkspartei zumindest bei der Bewertung der Rolle des Staates beim Klimaschutz schon recht nahestehen. Genau wie die Linken wollen die Grünen durch die Vorgabe von Grenzwerten und strengen ökologischen Standards, wie unter anderem einer CO2-Bremse für alle Gesetze ihre Klimaschutzpolitik durchführen. Unterschiede zur Linkspartei sind auch einige anreizorientierte Maßnahmen wie zum Beispiel das Energiegeld, vor allem aber ist zu merken, dass die Grünen deutlich schwammiger in ihren Ausführungen bleiben. Sie fordern wenig direkte ordnungspolitische Maßnahmen, spielen aber indirekt auf sie an (zum Beispiel wollen die Grünen bei Energie- und Mobilitätswende verstärkt auf den Ausbau der staatlichen Infrastruktur setzen, was offensichtlich eines großen Budgets benötigt, erwähnen aber nicht explizit, wo die monetären Ressourcen dafür herkommen sollen). Was die SPD betrifft, wollen auch sie vor allem auf öffentliche Investitionen setzen (wieder, ein Ziel, was zwangsläufig den Ausbau der staatlichen Kompetenzen benötigt). Hier ist es tatsächlich eine ähnliche Leier, wie bei den Grünen. Viel Wunschdenken, viel Zielsetzung, im Vergleich dazu wenig Umsetzungsvorschläge. Sicher ist aber, und es ist bei Grünen und Linken nicht anders, der CO2-Preis soll steigen. Es spiegelt sich ein Bild bei allen drei Parteien wider. Die zentralen Säulen der Klimaschutzpolitik, zum Beispiel Energie- und Mobilitätswende sollen durch staatliches Eingreifen und Investieren durchgeführt werden. Unternehmen werden reguliert, es werden ihnen neue, schärfere Standards vorgeschrieben und generell soll es mehr Vorschriften und Verbote geben (ein Beispiel, bei dem sich alle einig sind, ist das Verbot von Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren). Das große Problem einer solchen Klimapolitik ist, dass sie Gefahr läuft wirtschaftlich unattraktiv und sozial ungerecht zu werden. Wirtschaftlich unattraktiv, weil Unternehmen, ob klein oder groß, eine erheblichere Last an Bürokratie zu tragen haben. Wenn man mehr auf Regulierungen und Standards achten muss, verlangsamt das den Prozess der eigenen Produktion. Das mag nicht in allen Bereichen schlecht sein, wenn wir doch aber einen erheblichen Fortschritt in Technologie und nachhaltiger Produktion benötigen, kann Bürokratie dem im Weg stehen. Wenn ich eine bahnbrechende Erfindung auf den Markt bringen will, mir aber noch Gedanken darum machen muss, dass ich in Produktion, Vermarktung und Verschaffung alle Umweltauflagen einhalte, habe ich einfach deutlich weniger Zeit, mich mit der eigentlichen Erfindung zu beschäftigen. Das ist dann auch sozial ungerecht, da das Anpassen an Vorschriften Zeit und Geld benötigt. Und davon habe ich deutlich weniger, wenn ich mit nur wenigen Mitarbeitenden ein kleines Unternehmen führe. Natürlich kann man jetzt aus den Wahlprogrammen nicht ganz genau herauslesen, was die Parteien in den nächsten Jahren explizit in jedem Bereich an Klimaschutzmaßnahmen durchführen werden, es lässt sich aber ein gewisser Kurs erkennen. Und dieser Kurs, ein staatlich-dirigistischer Kurs, läuft meiner Meinung nach Gefahr, nach hinten loszugehen. Mit diesem Satz leite ich zu meinem zweiten Kritikpunkt über.
Kritikpunkt 2: linke Wirtschaftspolitik
Wirtschaftspolitik steht natürlich in direkter Relation zu Klimapolitik, deswegen lesen sich die wirtschaftspolitischen Forderungen der Parteien ganz ähnlich. Den Vorschlag der Linken „Den neoliberalen Kapitalismus, der von Deregulierung, Privatisierung und Sozialabbau gekennzeichnet ist“ zu überwinden, teilt keiner der anderen beiden Parteien, zumindest nicht offiziell. Trotzdem finden sich im Bereich Wirtschaft zwischen allen drei Parteien weitreichende Überschneidungspunkte. Zum Beispiel beim Thema Vermögenssteuer. Die wollen alle drei Parteien in irgendeiner Form einführen. Vor allem Unternehmen und Wohlhabende sollen besteuert werden, durch zum Beispiel eine Erhöhung der CO2-Steuer soll aber auch die Gesellschaft als Ganzes in die Verantwortung zur Emissionsreduzierung genommen werden. Ziel der Wirtschaftspolitik ist für alle drei Parteien „soziale und ökologische Gerechtigkeit“. Es gibt aber auch Unterschiede. Während die Linken sich offen zum demokratischen Sozialismus bekennen, planen die Grünen der Marktwirtschaft „einen sozial-ökologischen Rahmen“ zu geben. Die SPD ist da nicht so klar, jedoch wollen sie ihre Wirtschaftspolitik „gemeinwohlorientiert“ ausrichten. Wie diese Pläne in der Umsetzung aussehen würden, ist natürlich eine andere Frage, man kann aber davon ausgehen, dass ein Rot-Rot-Grünes Bündnis eine erhebliche Vergrößerung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft mit sich bringen würde. Den „Ökokommunismus“, den die Union in diesen Tagen prophezeit, würde es sicherlich nicht geben, aber eine wirtschaftliche Linksverschiebung sicherlich. Dieser Kurs ist sehr optimistisch, zu optimistisch vielleicht. Denn wenn man Energie- und Mobilitätswende größtenteils staatlich und in weniger als zehn Jahren durchführen will, brauch man dafür erhebliche monetäre Ressourcen. Rot-Rot Grün will diese Ressourcen durch mehr Steuern und Abgaben einholen. Wenn man aber starke Regulierungen und Vorschriften für Unternehmen einführt, führt das ab einem bestimmten Punkt zu einer erheblichen Schwächung des Wirtschaftswachstums. Das führt dann dazu, dass der Staat weniger einnimmt, denn Staatseinnahmen hängen davon ab, wie viel erwirtschaftet und dann anschließend versteuert wird. Dann läuft man Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu geraten. Denn einer Volkswirtschaft, die mehr umverteilt, als sie produziert, geht früher oder später das Geld aus (ganz abgesehen davon, ob wirtschaftliche Leistungsträger und „die Reichen“, deren Vermögen man ja stark besteuern will, bei einer solchen Wirtschaftspolitik überhaupt im Land bleiben würden). Selbst wenn Deutschland es trotzdem schaffen würde, schnell klimaneutral zu werden, dies aber auf Kosten des wirtschaftlichen Wachstums geschieht, würde das Global nicht viel bringen. Denn ein klimaneutrales Land mit einer schwächelnden Wirtschaft nimmt sich sicherlich keine Industrienation (und die Industrienationen sind nun mal die Treiber des Klimawandels) als Vorbild.
Natürlich kann niemand hellsehen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob Rot-Rot Grün überhaupt passieren wird und wie das Handeln dieser Regierung dann aussieht. Meine Ästimation ist nichts mehr als eine Voraussage, basierend auf Umfragen, Parteiprogrammen und meiner eigenen Einschätzung. Ich halte es trotzdem für fraglich, wie man den Klimawandel, die größte Menschheitsaufgabe des 21. Jahrhunderts, mit staatlicher Lenkung, Steuer- und Verbotspolitik und einem damit verbundenen noch weiterwachsenden Berg an Bürokratie lösen und gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit und Wohlstand sorgen möchte.