Ein Kommentar von Marie Haueis-Robinson
Inklusion oder unfairer Vorteil? Diese Frage stellt sich nicht zuletzt angesichts der Rekorde, welche Transfrauen – biologisch männliche Personen, die sich als Frauen identifizieren – zunehmend aufstellen. So gewann die Transathletin Lia Thomas im 500m Freistil-Schwimmen ganze 7.5 Sekunden vor der Zweitplatzierten. Ähnliches gelang auch der Bahnrad-Fahrerin Rachel McKinnon, welche 2018 die Masters World Track Championships im Sprint und im Folgejahr das 500m Zeitfahren gewann. Auch CeCé Telfer (siehe Beitragsbild) lag um mehr als eine Sekunde vor ihren Opponenten beim 400m Hürdenlauf. Leicht ließe sich die Liste aufgestellter Rekorde, Siege und Leistungen verlängern. Eines fällt dabei fortwährend auf: die Leistungen der Transathleten sind gegenüber denen der biologisch weiblichen Athleten erheblich überlegen. Ob dies ein unfairer Vorteil oder gelebte Inklusion ist und inwiefern das Geschlecht in Bezug auf insbesondere Hormone und Hormontherapie ausschlaggebend ist, wird im Folgenden diskutiert.
Grundsätzlich lassen sich wesentliche physiologische sowie anatomische Unterschiede zwischen Männern (genauer: männlichen erwachsenen Menschen) und Frauen (genauer: weiblichen erwachsenen Menschen) in zwei Kategorien unterteilen: die permanenten, unveränderlichen Merkmale, bedingt durch u.a. pränatale Hormonwerte, und die veränderliche Merkmale, beeinflusst durch sich lebenslänglich verändernde Hormonwerte.
Diese unterschiedlichen Hormonwerte wie die aus diesen resultierende Physiologie und Anatomie führen zu Vor- bzw. Nachteilen in bestimmten Sportarten, weshalb meist nebst einer geschlechtlichen auch eine Trennung in Gewichts- oder Altersklasse besteht. Diesen grundsätzlichen Unterschieden liegt zunächst der Testosteronwert von Männern mit 7.7 bis 29.4 nmol/L (Nanomol pro Liter) bei volljährigen Individuen bzw. 1.12 bis 1.79 nmol/L bei volljährigen Frauen zugrunde. Dieser beeinflusst pränatal die Ausprägung der geschlechtsspezifischen, unveränderlichen Merkmale wie das kardiorespiratorische System – also das Lungenvolumen, Herzvolumen und Schlagvolumen des Herzens (und damit Fähigkeit der Atmung und des Blutkreislaufs, den Körper mit Sauerstoff zu versorgen), die Knochenstruktur des Skelettessowie und Muskelstärke.
Ersterer Aspekt spielt insbesondere bei der Funktionsfähigkeit sowie dem Leistungspotential der Muskeln eine Rolle, wobei das am größten daran beteiligten Organ, die Lunge, bereits pränatal durch den Testosteronspiegel beeinflusst wird. Sodass Männer durchschnittlich ein Volumen von 285-393cm3 und Frauen durchschnittlich 75cm3 aufweisen. Die resultierende Differenz von 210-318cm3 ist angesichts der höheren Sauerstoffversorgung von Männern und einhergehenden geringeren Schlagvolumen des Herzens, da mehr Sauerstoff zur Verfügung steht, sodass der Körper unter Belastung effizienter und insgesamt höhere Leistungen erbringen kann. Die vergleichsweise geringere Sauerstoffsättigung im weiblichen Körper führt zu einem höheren Schlagvolumen und geringerer Leistungsfähigkeit bei vergleichbarer Dauer und Intensität. Dies führt dazu, dass es physiologisch gesehen unmöglich ist, dass Frauen bei selbiger Dauer und Intensität die Leistung der biologisch männlichen Konkurrenten erbringen können. Insbesondere in Schnellkraft-Szenarien, also Sportarten mit schnelleren Sprints, wie beim Bahnradsport, beim Schwimmen oder auf der Laufbahn, hingegen aber nicht bei Sportarten mit Fokus auf Muskelmasse- und stärke im Oberkörper.
Jedoch haben alle Sportarten gemeinsam, dass geringeres Verletzungsrisiko durchaus zu Unterschieden in der Leistung und dem Fortschritt führen können. Beispielsweise erleidet ein Sportler eine Verletzung des Knochens struktureller Art, während ein weiterer aufgrund seiner höheren Knochendichte, weshalb er sich die Verletzung des ersten Sportlers nur mit großer Schwierigkeit zuziehen würde, nicht zusätzlich zu den trainingsbedingten muskulären Schäden regenerieren muss und schneller Fortschritte erzielen kann. Dieses Szenario ist vergleichbar zu der Situation der Frauen und Transfrauen. Denn letztere besitzen eine testosteronbedingte höhere Knochendichte, welche sich auch nach Reduktion des Testosterons im Rahmen der hormonellen Therapie nicht verringert und demzufolge Frauen einen dauerhaften Nachteil beschert. [6]
Nicht nur die Knochendichte, sondern auch die grundlegenden geschlechts-spezifische Anatomie bringt Transfrauen Vorteile, da diese als biologische Männer einem geringeren Winkel des Oberschenkelknochens von 12°-15°, dem sogenannten Quadrizepswinkel, im Gegensatz zu den weiblichen 15°-18° besitzen. Der größere Winkel erzeugt eine höhere Belastung am Knie an der seitlichen Patellasehne, wodurch bei ähnlicher bzw. selber Belastung, Intensität und Dauer das Risiko von Knieproblemen größer ist.
Letzterer Aspekt der obig genannten geschlechtsspezifischen Merkmale ist zwar im Gegensatz zu den bereits genannten mithilfe der hormonellen Therapie nachhaltig beeinflussbar, jedoch ist dies so gering, dass man nur sehr schwer von einer Fairness sprechen kann. Die Muskelmasse- und stärke, welche mithilfe der Testosteron-Suppression zu vergleichbaren Werten der Frauen vermindert werden soll, erreicht nach 2-3 Jahren ein Plateau, welches auch nach acht Jahren der Transition bestehen bleibt, wie eine Studie von Hilton und Lundberg feststellte. [4] Grundsätzlich wäre dieses Plateau nicht problematisch, wenn Frauen keine Testosteronwerte von 1.12 to 1.79 nmol/dl aufweisen würden. Dies entspricht lediglich 11.2% bzw. 17.9% der vom IOC (International Olympic Commitee) festgelegten Werte von 10ng/dl, welche 12 Monate vor sowie während des Wettkampfes in beim Athleten nachgewiesen werden müssen. Selbst bei 5ng/dl bestünde ein Unterschied von 22.4% bis 35.8%, welcher sich signifikant in den Leistungen niederschlagen würde. Häufig sind die Testosteronwerte jedoch aufgrund der Plateaus dauerhaft im höheren Bereich. Selbst niedrigeren Testosteronwerten bei Transfrauen (bspw. unter 3nmol/l) würden Anbetracht der geschlechtsspezifischen Merkmale den Vorteil aus- bzw. zumindest angleichen, da rückwirkende Änderungen bezüglich der pränatalen und adoleszenten Einflüsse nicht möglich sind.
Auch führt die Suppression des Testosterons selbst zu unter 1nmol/dl zu keiner bzw. nur sehr trivialen Änderungen der muskulären Leistungsfähigkeit [5], wobei zwar das muskuläre Volumen um 5% verringerte, nicht aber die muskuläre Dichte, welche höhere Maximal-, Schnell-, sowie Reaktivkraft und Kraftausdauer begünstigt. Demnach sind biologische Männer, ungeachtet des aktuellen Testosteronhaushalt, biologischen Frauen überlegen und werden es auch nach einer (hormonellen oder operativen) Transition aufgrund des pränatalen und pubertären Testosterons fortwährend sein.
Hinsichtlich genannter Tatsachen ist es äußerst fraglich, inwiefern die Duldung von Transfrauen in der weiblichen Kategorie als gleichwertige Konkurrenz sportliche Fairness aufweist. Denn jene physiologische Überlegenheit ist die Essenz, weshalb Gewichts-, Alters- sowie Geschlechtsklassen eingeführt wurden. Eine Aufhebung dessen, wie sie aktuell verwirklicht wird, sobald Transfrauen in der weiblichen Kategorie teilnehmen, führt schnell zu einer missglückte Karriere oder verpassten Olympia-Medaille.
Eine Feststellung sowie die Anerkennung der evidenten Vorteile sowie dessen wissenschaftlichen Hintergrund lässt sich nicht als Transphobie beschreiben. Eine biologisch männliche Person kann sich zweifellos als Frau fühlen und als solche gesellschaftlich anerkannt werden wollen. Dies kann und soll jeder tun, wer den Bedarf danach verspürt. Doch dieses Bestreben der persönlichen Identität und sozialen, rechtlichen oder politischen Anerkennung ändert jedoch nichts am biologischen Geschlecht, das in jeder Faser des Körpers verankert ist – insbesondere nicht im Leistungssport.
Angesichts dessen muss man über alternative Lösungen nachdenken, beispielsweise eine eigene Kategorie für Transpersonen oder die Wertung der Transfrauen (im Grunde vollkommen biologisch männliche Personen) in einer männlichen Kategorie. Möchte man dies nicht derart umsetzen, so müsste aus Gründen der Fairness eine getrennte Wertung und Anerkennung der Leistungen der Transfrauen stattfinden, konkurrieren diese in der weiblichen Kategorie.
Unweigerlich werden diese Vorschläge auf Widerstand stoßen, jedoch schaffen derzeitige Regelungen keine Fairness, signalisieren sie doch Rückschritt statt Fortschritt. Denn biologischen Männer wird durch ihre Teilnahme bewusst ermöglicht, den Frauensport zu dominieren, eine unweigerliche Konsequenz. Lob, Anerkennung und vor allem Unterstützung findet dies vielfach von Aktivisten sowie zum Teil allgemeingesellschaftlich und politisch als „Sternstunde der Inklusion“. Jedwede Kritik an der resultierenden Ungerechtigkeit wird häufig als transphob geächet. Kritische, öffentliche Äußerung darüber seitens benachteilgter Athleten – wie etwa Mitglieder des US-amerikanischen Schwimmteams – riskieren dabei ihre Karriere, obgleich sie durchaus berechtigten Anlass zur Kritik besitzen.
In diesem Sinne sollte man die Auswirkungen der Unterstützung dessen auf die Mehrheit der dortig involvierten, weiblichen Athleten zur Kenntnis nehmen und individuell evaluieren, ob und in welchem Maße man eine `genderoffene` Kategorie unterstützen möchte.
Gleich, wie die Entscheidung ausfällt, man sollte sich den entsprechenden Konsequenzen bewusst sein und sicher sein, dass dies seinem Gewissen auferlegen werden soll. Zuletzt ist es nicht nur eine (sozio-politische) Gewissensentscheidung, es ist auch eine Entscheidung, welche über den (Lebens-)erfolg und perspektiven vieler Athletinnen entscheidet.
Referenzen
[1] Marshall, Lisa (2019): Testosterone limits for female athletes based on flawed science. URL: https://www.colorado.edu/today/2019/02/08/testosterone-limits-female-athletes-based-flawed-science#:~:text=Testosterone%20and%20competitive%20advantage&text=Most%20females%20have%20testosterone%20levels,testosterone%20levels%2C%20according%20to%20IAAF(Stand 21.12.2023)
[2] Hadji, Peyman; Klein, Silvia; Gothe, Holger; Häussler, Bertram; Kless, Thomas; Schmidt, Torsten; Steinle, Thomas; Verheyen, Frank; Linder, Roland (2013): The epidemiology of osteoporosis—Bone Evaluation Study (BEST): an analysis of routine health insurance data, In: Dtsch Arztebl Int 2013, S. 52-57
[3] Elbers JM, Giltay EJ, Teerlink T, Scheffer PG, Asscheman H, Seidell JC, Gooren LJ (2003): Effects of sex steroids on components of the insulin resistance syndrome in transsexual subjects. In: Clin Endocrinol (2003), S.562-71
[4] Hilton, Emma N.;Lundberg, Tommy R. (2020): Transgender Women in the Female Category of Sport: Perspectives on Testosterone Suppression and Performance Advantage. S. 199-214
[5] Ingle, Sean (2020): Strength of trans women drops slightly after year of treatment, research claims. URL: https://www.theguardian.com/sport/2020/dec/11/transgender-athletes-sports-medicine-study-research (Stand: 21.12.2023)
[6] Barkaoui, A.; Ben Kahla, R.; Merzouki, T. et al. (2017): Age and gender effects on bone mass density variation: finite elements simulation. In: Biomech Model Mechanobiol (2017), S. 521–535