Von Friederike Volkmann
Schon seit viel zu langer Zeit wird über rassistische Taten berichtet, ohne dass es wirklich nachhaltig schockiert. Oft fällt einem selbst gar nicht auf, wie ungerecht und auch ungerechtfertigt manche Berichte und Beiträge sind. Sie stellen die Umstände zwar meist sachlich richtig, jedoch, im Sinne der journalistischen Objektivität, nicht drastisch genug dar. Mir selbst war beispielsweise die bodenlose Unmenschlichkeit des NSU und der fragwürdige Umgang der Polizei und Justiz mit den Opfern bis vor kurzem nicht wirklich bewusst.
Bei einer Veranstaltung der Schwarzkopf-Stiftung wurde uns durch den Jurist und Opferanwalt im NSU-Prozess Dr. Mehmet Daimagüler, ein Einblick in viele Seiten und Problematiken des Prozesses gegeben. Es ist schwierig dieses kontroverse und komplexe Thema kurz, jedoch würdig und ausreichend erklärt wiederzugeben. Doch zu wissen, dass diese terroristische Vereinigung bewusst zur Ermordung von Personen ausländischer Herkunft gegründet wurde, zeugt schon von unglaublicher Unmenschlichkeit. Hauptakteure waren die drei Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhart und Beate Zschäpe. Bestimmte Mittäter sind ebenfalls bekannt, doch die tatsächliche Größe des Terrornetzwerkes nicht. Neun ermordete Migranten, 43 weitere Mordversuche und drei Sprengstoffanschläge. Dazu noch 15 Raubüberfälle, welche nicht im Haus-des-Geldes-Style zur eigenen Bereicherung, als Hommage an Verstorbene und am besten friedlich, sondern aus reiner Fremdenfeindlichkeit und zur Finanzierung von Schusswaffen geschahen. Das Urteil im NSU-Prozess fiel im vergangenen Jahr, Mehmet Daimagüler bezeichnete dieses als „ein Urteil, das an einer erwartbaren Stelle hart, an einer unerwarteten Stelle zu hart und an einigen unerwarteten Stellen zu milde war“. Für Hinterbliebene war es zwar „eine Erleichterung“ doch zufriedengeben können diese sich mit dem Urteil nicht. Bei den Angehörigen der Opfer bleiben viele Fragen offen, beispielsweise nach welchen Kriterien, abgesehen von der Nationalität, der NSU seine Opfer aussuchte, denn die Morde erscheinen ziemlich willkürlich. Beim ersten Mord handelte es sich beispielsweise um einen Blumenverkäufer und Vater zweier Kinder, Enver Şimşek aus Hessen. Er wurde mit dreizehn Schüssen ermordet und das nur auf Grund seiner türkischen Herkunft und dem Ausleben seiner Religion in der örtlichen muslimischen Gemeinde.
Der Prozess wurde von staatlicher Seite auffallend durch institutionellen Rassismus geprägt, sofern durch informelle Regeln und Normen, bewusst oder unbewusst, gezielte Unterscheidung und Ungleichbehandlung ausländischer Personengruppen geschah. So musste sich die Frau des Erschossenen in der Zeit, in der ihr Mann im Sterben lag, einer polizeilichen Befragung unterziehen. Dabei nutzten die Beamten Falschbehauptungen, beispielweise wurde ihrem Mann die Zugehörigkeit zu einem Drogenring unterstellt und die Frau wurde mit einer angeblichen Affäre ihres Mannes konfrontiert. Die Beamten versuchten, sie aus der Reserve zu locken und das Vertrauen in ihren Mann zu erschüttern, um im Verhalten des Opfers ein mögliches Motiv des Mörders zu finden. Dass, laut mehrerer Zeugenaussagen, die beiden Täter junge deutsche Männer waren, wurde nicht weiter beachtet, denn was tut die Hautfarbe oder Nationalität der Täter schon zur Sache? Die Familie Şimşeks wurde über längere Zeit überwacht, der Täter also im Umfeld des Opfers gesucht. Dieser Vorfall ist mittlerweile 19 Jahre her und nur ein Fallbeispiel von vielen fragwürdigen Verfahrensweisen mit Personen und Aussagen in Bezug auf den NSU. Der rassistische Hintergrund dieser und sämtlicher weiterer Taten wurde bis zur öffentlichen Bekennung des NSU verleugnet.
Es ist wichtig über manche solcher Geschehnisse Bescheid zu wissen, vielleicht auch manchmal Dinge zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung, auch für daraus resultierende Handlungen, zu bilden. Wir haben die Möglichkeit die guten wie die schlechten Nachrichten zu konsumieren, sind von den schlechten zwar empört doch auf diese Empörung folgt nichts. Wir geben leichtfertige Aussagen, die von simplen, nahezu unbewiesenen Vorwürfen gesteuert sind, von uns, ohne selbst ein Bild von der vollständigen Sachlage zu haben. Es hat sich quasi eine neue Art von Rassismus gebildet die in unserer Gesellschaft internalisiert und gewissermaßen akzeptiert ist, ohne dass jeder von uns das bemerkt. So sollte man etwa bei Witzen über gesellschaftliche Tendenzen überlegen, ob man tatsächlich solche Denkweisen unterstützt und auch mit kritischen Stimmen rechnet, denn ein klarer Standpunkt gegen Rechtsradikalität wird immer wichtiger. Es ist nie sinnvoll gerechtfertigt, sich besser oder privilegierter als andere zu sehen, denn man weiß selten, was hinter der Person oder Personengruppe steckt, über die man urteilt.