10, Januar, 2025
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»Bloß nicht mit Nazis reden!« — eine fragwürdige Diskurskultur  

Des Öfteren fordern Politiker und Organisationen wie die KBAN und Antifa „Nazis raus!”, auch im gesellschaftlichen Diskurs ist es mittlerweile zum häufig zu hören. „Nazis (raus)!” — ein Bekenntnis zur Demokratie und Vielfalt und wenn nötig: eine Art Totschlag-Argument. Doch scheint die Bedeutung unklar zu sein, der Begriff gewinnt zunehmend an Umfang und Vagheit. Ein Kommentar

SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil erklärte am 9. Juni 2024 in der ntv-Talkshow im Gespräch über die Europawahl Alice Weidel und die AfD zu „Nazis.“ [0] Auch der NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst meinte, für ihn sei die AfD „eine Nazi-Partei.“ [1] Auch andere Politiker drücken ähnliche Überzeugungen aus: man habe „keinen Protest“, stattdessen aber „Nazis in das Europäische Parlament“ [2] gewählt.

Grosso modo greifen auch die Medien diesen Ton auf, deren Aufmerksamkeit in parteipolitischen sowie gesellschaftlichen Themen entgegen anderen Parteien häufig vorwiegend der AfD gewidmet ist. Prägnant ist hier auch das Verständnis der ZDF-Reporterin Nicole Diekmanns. In einem Post auf X lässt sie, wohl als Parodie auf die Frage „Wer ist denn für Sie ein Nazi?“ wissen: „Jede/r, der/die nicht die Grünen wählt.“ Anderweitig postete sie unverblümt kontextlos: „Nazis raus“. [3; 4] Doch Ironie ist auf sozialen Medien, besonders als Angestellte des Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks, ein heikles Unterfangen. So auch hier. Eine Welle des Unverständnisses brach auf sie los, aber auch begleitet von zahlreichen befürwortenden Nachrichten. Der Hashtag #Nazisraus gilt nunmehr als Bekundung einer „Haltung gegen Rechts“ und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Doch wer genau ein „Nazi“ ist, der „raus“ soll, das bleibt weitestgehend der eigenen, subjektiven Wahrnehmung und Definition überlassen.

Etymologie und Definition

Interessant ist, dass die Abkürzung  des Wortes ‚Nazi‘ seine etymologischen Ursprünge nicht in der NS_Zeit findet – vielmehr gebräuchlich war unter Nationalsozialisten zunächst „Naso“, wie Jon Rosenbaum in seinem Buch Explaining Hitler: The Search for the Origins of His Evil darlegt. [5] Die NSDAP selbst lehnte den Begriff „Nazi“ grundsätzlich ab, lediglich Goebbels Publikation Der Nazi-Sozi. Fragen und Antworten für den Nationalsozialisten bildet die einzige Ausnahme. [6]

Anderweitig ist „Nazi“ im Volksmund auch als Kosewort für „Ignaz“ bzw. „Ignatius“ bzw. allgemeinsprachlich als Schmähbegriff einzelner lokaler sowie intellektueller Kreise bekannt. Erst im Zuge Konrad Heidens NS-kritischer Publikationen wird dieses Wort als Synonym für Nationalsozialist popularisiert und später mit der beschlossenen “Entnazifizierung” im allgemeingebräuchlichen hochdeutschen Sprachschatz aufgenommen.

Gegenwärtig wird der Begriff doch fast gänzlich subjektiv ausgelegt. Es ist zunächst unklar, wer in welchem Kontext als “Nazi” gilt, ohne dies präzisiert zu haben. Eine einheitliche Definitionsbasis wird scheinbar nicht ins Auge gefasst — wäre es doch naheliegend, „Nazi“ als Kurzform von „Nationalsozialist“ zu verstehen, wie es auch der Duden aufführt [8]. 

Diesen Nationalsozialisten könnte man auch als Grundform von “Nazi” definieren, welche ideologisch als Anhänger des Nationalsozialismus bzw. Mitglieder einer nationalsozialistischen Partei gelten, wie der DWDS präzisiert. [9] Ferner könnte man spezifizieren, dass der Nationalsozialismus von die Idee einer übergeordneten „arischen Herrenrasse“ geprägt werde, welche als „reiner“ und „stärker“ gilt; angelehnt an die darwinistische Idee des survival of the fittest. Wer dieser “arischen Herrenrasse” nicht angehört bzw. nicht als Angehöriger gewertet wird, der steht der vermeintlichen (Über-)Lebensunwürdigkeit und Ausgrenzung gegenüber. 

Problematiken

Diese Definition war bis zum Aufkommen dieser Haltung „gegen Rechts“ allgemein akzeptiert und entsprechende Eigenschaften wurden all jenen zugeschrieben, welche als „Nazi“ bezeichnet wurden. Hierbei sollte man bedenken, dass mit einer solchen Bezeichnung einer Person oder Personengruppe ihnen de factounterstellt wird, sie würde nationalistischen Gesinnungen befürworten und aktiv unterstützen. Zwar mögen sie womöglich bestimmte Ideen aus dem konservativen oder rechten Spektrum unterstützen, sind aber nichtsdestotrotz vom Nationalsozialismus zu unterscheiden. Vielmehr vertreten sie oft konservative oder rechte Haltungen. Bezeichnet man sie dennoch als „Nazi“, so entspricht dies gewissermaßen einer ideologischen Gleichstellung mit zum Teil verfassungsschutzrechtlich verbotenen Verbindungen, wie etwa der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP), der Nationalen Liste (NL) [10] oder der Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten. [11] 

Der Versuch, mit der Etikettierung des Gegenübers als „Nazi“ „Haltung gegen Rechts“ zu zeigen, zeugt nicht von Solidarität mit Art. 5 GG und Satz 1, Art. 20 GG — allenfalls mit dem Gegenteiligen. Bekundungen wie #Nazisraus oder Bezeichnungen als “Nazi” ohne ausreichende Beweisvorlage, wie auch fast kategorischer Verweigerung des Diskurses, sobald das Gegenüber als “Nazi” bewertet wird, verhindern jeglichen zielführenden Diskurs. Dies meint einen Diskurs, dessen Teilnehmer jegliche (sofern gemäß Art. 1, Art. 18, respektive Art. 20 verfassungskonform) Meinungen als gleichwertigen Teil des Diskurses würdigen und eine Bereitschaft der Auseinandersetzung mit anderen Meinungen einzugehen, selbst mit (rechts-)konservativen oder rechten — schließlich gibt es kein Links ohne Rechts. 

Doch dieser Gleichwertigkeit bedarf es, um grundsätzlich Beitrag zur freiheitlichen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaft leisten zu können. Oft scheint genau dies – ein Beitrag zur freiheitlich-demokratischen Gesellschaft – Motiv der „richtigen“ moralischen Gesinnung sowie des „Haltung-Zeigen“ zu sein.  Im Zuge dessen tritt oft eine Kategorisierung des „Nazi-Seins“ auf, lediglich um aufzuzeigen, dass man „demokratisch“, „anti-Nazi“ oder „gegen Rechts“ sei und nicht mit der vorgeblich falschen Seite diskutiere. 

Diese, dem Diskurs gewissermaßen vorausgehende, Kategorisierung verleitet dazu, den Austausch frühzeitig abzubrechen bzw. mit vagen Begrifflichkeiten Ansichten dem Gesprächspartner zuzuschreiben. Diese Ansichten sind oft wenig bis vollends nicht zutreffend. Doch dies trägt nicht zur Gewährleistung eines Diskurses bei, wo auch gegensätzliche Meinungen eine Chance auf gleichwertige Anerkennung besitzen. 

Gleichzeitig lässt sich zunehmend die Tendenz beobachten, dass emotionale, gefühlsbehaftete, unsachliche Aspekte in den Vordergrund treten und versucht wird, das Gespräch und damit den Diskurs ohne ernsthafte inhaltliche Auseinandersetzung zu beenden oder gar zu unterlassen — schließlich diskutiert man nicht mit „Nazis“.

Dies verschiebt den Fokus von inhaltlichen Aspekten zu wenig rational persönlichen und moralischen Aspekten. In der Logik nennt man dies Argument gegen den Mann, dem untergeordnet auch anti-autoritativer Fehlschluss. [12] Hierbei gilt nicht etwas die Tatsache, dass eine Person eine Anti-Autorität aufgrund vieler vorherigen statistisch unzureichender sowie voreingenommener Aussagen darstellt, sondern dass ihnen ein Vergehen moralischer Art zu verschulden ist. Im sogenannten Appell an die Emotion gelten das Ansehen, der soziale Status, die Herkunft oder andere in dieser Sache irrelevante Eigenschaften als Beleg für die zugeschriebene Anti-Autorität.

Dieser zunehmend gängige anti-autoritative Fehlschluss äußert sich in sofortiger Ablehnung bestimmter Meinungen, was nach außen als „Haltung-Zeigen“ exerziert wird. Demnach sei es augenscheinlich nutzlos, sich mit solchen „anti-autoritativen“ Personen zu befassen bzw. auseinanderzusetzen, da diese ohnehin unverlässlich und fehlgeleitet wären; jegliche argumentative Auseinandersetzung wird als nicht zielführend gewertet. Wer würde denn einem zuhören, der nur ein „Nazi“ ist und dessen Aussagen sowieso nur „anti-demokratisch“, „verfassungs-, menschen-, ausländer- oder queer-feindlich“ sind? 

Konsequenzen der problematisierten Aspekte

Dies mündet in einer Abstumpfung, im Diskurs entfällt zunehmend das Innehalten, sobald das fragliche Wort fällt. Leichthin jemanden als Nazi zu bezeichnen, zieht zumeist keine größeren Konsequenzen für den Äußernden nach sich, wo sich doch seine historische Dimension als prägend für die politisch-gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands erweist.  Somit scheint es zunehmend weniger noch Rechtfertigung für eine solche Zuschreibung zu bedürfen und dies leistet so keinen unerheblichen Beitrag zur Emotionalisierung, Subjektivierung sowie einem Entfernen vom rationalen Diskurs.

Die Tragweite scheint unerkannt zu bleiben, doch den pauschal als „Nazi“ Betitelten entzieht es jeglichen gesellschaftlichen Respekt. Sie können schwerlich bzw. nicht mit derselben gleichwertigen Anerkennung, trotz der grundgesetzlich garantierten Pluralität, ihre Meinungen (sofern verfassungsrechtlich vereinbar) kundtun, ohne der Gefahr der abgeschriebenen Gültigkeit, Wahrheit und Relevanz seiner Aussagen ausgesetzt zu sein. Das Resultat ist nicht eine Reduzierung rechtskonservativer, rechtsradikaler oder rechtsextremer Gesinnungen — wie sich manche wohl erhoffen — sondern allenfalls allseitiges Unverständnis, Frust und schlussendlich womöglich auch Hass. 

Weiterhin führt die zunehmende Unklarheit nebst oben aufgeführten Phänomen des anti-autoritativen Fehlschlusses letztlich dazu, dass für ‚echte‘ Nationalsozialisten und Neo-„Nazis“ kein eindeutiger Begriff mehr verbleibt. Sie werden schlichtweg den anderen „Nazis“ zugeordnet, egal ob ihre Gesinnungen deckungsgleich oder zu differenzieren sind. 

Fazit

Schlussendlich sind subjektive, beliebige und gar willkürliche Auffassung des „Nazi“, wie auch pauschalisierende Aussagen, anti-autoritative Fehlschlüsse und kategorische Ablehnungen es sind, selbst mit gutem Vorsatz dem Diskurs eher schadend als fördernd.  Ein offener, toleranter, respektvoller und allem voran: differenzierter Diskurs ist unter diesen Bedingungen nur schwerlich möglich. Es bleibt: man sollte seine Worte mit Bedacht wählen (und Auffassungen sachlich belegen), denn ein „Nazi“ ist schließlich nicht jeder.

Referenzen

[0]https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldung/detail/afd-nazis-klingbeil-weidel-persoenlichkeitsrecht-meinungskampf (20.09.2024)

[1] https://www.swr.de/swraktuell/radio/wuest-kuendigt-entschlossenen-kampf-gegen-afd-an-100.html (20.09.2024)

[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-spd-spitze-trotz-verlusten-kampferisch-wer-die-afd-wahlt-wahlt-nazis-in-das-europaische-parlament-11792153.html (20.09.2024)

[3] https://x.com/nicolediekmann/status/1080205605497909252?lang=de (20.09.2024)

[4] https://x.com/nicolediekmann/status/1080204817069498368 (20.09.2024)

[5] Rosenbaum, John.: Explaining Hitler: The Search for the Origin of His Evil, Boston: DaCapo Press, 2014, Teil 3, Kapitel 1

[6] https://www.welt.de/kultur/article123945357/Nazi-ist-das-global-erfolgreichste-deutsche-Wort.html (20.09.2024)

[7]https://www.sueddeutsche.de/bayern/nazi-begriff-wort-sprachgeschichte-historisch-1.4307696 (20.09.2024)

[8] https://www.duden.de/rechtschreibung/Nazi#google_vignette (20.09.2024)

[9] https://www.dwds.de/wb/Nazi?o=nazi (20.09.2024)

[10] https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/publikationen/DE/rechtsextremismus/2022-02-rechtsextremismus-symbole-zeichen-organisationen.pdf?__blob=publicationFile&v=12 (20.09.2024)

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Verein_zur_Rehabilitierung_der_wegen_Bestreitens_des_Holocaust_Verfolgten(04.12.2024)

[12] Salmon, Wesley C.: Logik, Ditzingen: Reclam, 1973, Abschnitt 25

Titelbild: https://rostock.studentsstudents.de/wp-content/uploads/sites/2/2018/09/demo-730×438.jpg (11.12.2024)

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