Von Marie Haueis-Robinson
Einen „Geheimplan gegen Deutschland“ verkündet kürzlich ein Artikel von Correctiv, einem nach eigenen Angaben gemeinwohlorientierten Medienhaus, mit Blick auf eine private Zusammenkunft konservativer, rechter und als rechtsextrem eingeschätzter Privatpersonen, Politiker und Aktivisten in der Villa Adlon am Lehnitzsee in Potsdam. [0] Das Rechercheportal Correctiv hat sich zum Ziel gesetzt, „strukturelle Missstände, Korruption und unethisches Verhalten […] Falschinformationen, […] Halbwahrheiten und Gerüchte“ zu bekämpfen und hält die Förderung eine „demokratische Zivilgesellschaft“ für unerlässlich. [1]
Allerdings scheint der jüngste Artikel mit dieser Zielsetzung schwer vereinbar – ein Kommentar.
Meinungsfreiheit und weltanschaulicher Pluralismus geraten angesichts des publizierten Artikels und der in seiner Folge verstärkt geführten Debatte über ein mögliches Verbot der AfD zunehmend in Gefahr. Bekanntlich wurde die AfD im März 2021 als Verdachtsfall des Rechtsextremismus vom Bundesamt für Verfassungsschutz eingestuft. [2] Weiterhin betrachtet der Landesverfassungsschutz die AfD-Landesverbände der Bundesländer Sachsens, Thüringens und Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextremistisch. [3] Diese Einschätzungen befeuern zusätzlich eine Debatte über die Notwendigkeit eines AfD-Verbots. Während die einen ein solches – wehret den Anfängen – frenetisch begrüßen, um einen vermeintlich drohenden ‚Rechtsruck‘ in Deutschland noch abzuwenden, halten die anderen dies für überzogene Panikmache oder gar bloße Wahlkampfstrategie der ‚Altparteien‘.
Wie tief gespalten die deutsche Gesellschaft in dieser Frage ist, zeigen Ergebnisse einer aktuellen Umfrage von Statista: Als Befürworter oder Gegner eines AfD-Verbots exponierten sich jeweils 42%, während die verbliebenen 16% sich enthielten. Insbesondere die grün-, sozialdemokratisch- und linksorientierten Befragten sprachen sich mit 71%, 64% und 63% deutlich für ein Verbot aus. Anhänger der CDU/CSU und FDP hingegen standen diesem mit 53% und 42% eher ablehnend gegenüber. [4]
Einstimmiger zeigen sich da allerdings die Mainstream-Medien, Sender und Recherchenetzwerke – so auch das Correctiv. Zwar wird dem eigenen Anspruch nach angestrebt, zu einem sachlichen, differenzierten und „faktenbasierten Diskurs“ [5] beizutragen, indem „frei von politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten“ recherchiert wird. Gleichzeitig bedienen sich die Verfasser jedoch eines Schreibstils und einer Wortwahl, die augenscheinlich auf Emotionalisierung, moralische Wertung und Dramatisierung abzielt und damit de facto – entgegen der tatsächlichen Bedeutung des Treffens und seines Inhalts – jede sachliche, emotional neutrale Anschlusskommunikation von Vornherein unwahrscheinlich macht.
Geschrieben wie ein Drehbuch, begleitet von körnigen – sämtlich durch die Fenster des Landhauses Adlonaufgenommen – Fotografien als authentischer Evidenz, wirkt der Bericht eher wie die Inszenierung einer klandestinen Verbrecher-Zusammenkunft, als wie die Dokumentation eines „privaten Treffens“ — als welches es der Teilnehmer Martin Sellner in einem Interview gegenüber dem Sender AUF1 beschrieb. [6] Ob ein privates Treffen nun als ein ‚geheimes‘ deklariert werden kann, nur weil eine breite Öffentlichkeit nicht im Vorfeld darüber unterrichtet wurde, ist äußerst fraglich. Die beabsichtigte Wirkung indes ist offensichtlich: Wer sich im Geheimen trifft, hat etwas zu verbergen und führt vermutlich Böses im Schilde – wie der Titel nahelegt: „Geiheimplan gegen Deutschland“. [Herv. des Autors]
Grundsätzlich zu bezweifeln sind indes die Unabhängigkeit und Neutralität, welche die fünf Text- und Recherchezuständigen der insgesamt 19 an diesem Artikel Mitarbeitenden vermitteln wollen. Worte wie „Utopie der Nazis“ oder „Mörig-Clan“, flankiert von aus dem Kontext gerissenen Versatzstücken von Äußerungen einzelner Teilnehmenden, weisen eindeutig negative Konnotationen auf und sind sicher nicht als sachliche Darstellung zu bezeichnen. Befördert wird dies noch dadurch, dass Lesern, die sich auf Basis dieses Artikels eine eigene, unabhängige Meinung bilden wollen, eine kontextualisierende Einordnung der ausschnittartigen Zitate nicht möglich ist. Wortwahl und Diktion vermitteln vielmehr den Eindruck, dass über etwas Hochgeheimes, Gefährliches und Bedrohliches berichtet würde – und liefern damit als mehr oder minder subtiles Framing die erwünschte Beurteilung des Vorgangs gleich mit.
Das Problem hieran ist, dass journalistische Sorgfaltspflicht, nüchterne Faktentreue und Objektivität — kurzum die Darstellung dessen, was tatsächlich im Einzelnen der Fall war — zugunsten einer alarmistischen Diktion Vernachlässigung erfahren. Unabhängig von der Frage, ob die Beschaffung der Aufzeichnungen rechtmäßig war, hätte – und sei es ergänzend – ein vollständiges Transkript aller Aussagen des gesamten Treffens publiziert werden müssen, sodass der Leser dazu befähigt wird, sich ohne Vorabselektion und Beeinflussung selbst ein Urteil zu bilden. Beispielhaft für diese Problematik ist die Aussage, dass es den Beteiligten um „Menschen […] [mit] vermeintlich falsche[r] Hautfarbe oder Herkunft“ [7] ginge, jedoch wurde sich im Treffen lediglich auf „Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und ‚nicht assimilierte Staatsbürger‘“ [8] bezogen, nicht aber auf deren äußere Erscheinung. Evoziert wird so der Vorwurf rassistischer Motivation.
Weiterführend verleitet das Correctiv zu falschen Rückschlüssen, ohne fundierte Beweise vorzulegen. So geben die Autoren etwa vor, zu wissen, was „Martin Sellner heimlich denkt, wenn er von ‚Remigration’ spricht, auch wenn er es so nicht sagt.“ Wie jedoch können sie sich da sicher sein? Freilich könnte man Sellners Bücher zurate ziehen, um seine Ansichten zum Thema Remigration nachzuvollziehen. Nur würde diese Lektüre wohlmöglich dazu führen, ‚rechtes Denken‘ salonfähig zu machen, am Ende gar auf eine Unterstützung entsprechender Bestrebungen hinauslaufen — eine Gefahr immer dort bestehend, wo Menschen selbständig denken und sich – um Kant zu zitieren – ihres „Verstandes ohne Leitung eines anderen […] bedienen“. Redlicher wäre es trotzdem gewesen, den Leser über die Meinungen Sellners nüchtern, wahrheitsgemäß und angemessen differenziert aufzuklären, statt Ausschnitte, Vermutungen und fragwürdige Additionen bei der Rekonstruktion des Inhalts zu nutzen. Solch unvollständige Informationen und lückenhafte Darstellungen führen zu eindimensionalen und somit fehlgeleiteten Urteilen, weshalb das artikelbegleitende Transkript von grundlegender Bedeutung gewesen wäre — dies umso mehr, als einer der Teilnehmer des Potsdamer Treffens, der Jurist Ulrich Vosgerau, unlängst eine erfolgreiche gerichtliche Verfügung erwirkt hat, nach welcher Correctiv die Falschbehauptung der von Vosgeraus getroffenen Aussage über Wahlprüfungsbeschwerden untersagt wurde.
Große Hindernisse, ein solches Transkript zu erlangen, dürfte es nicht geben – zumal das Correctiv bereits Ausschnitte liefert und intensiv mit dem Greenpeace Investigativ-Team zusammenarbeitet, welches über „langjährige Erfahrung [mit] [v]orsichtige[r] Annäherung, strategische[r] und sichere[r] und interne[r] Kommunikation“ [9] verfügt und eine Zusammenstellung von sogenannten ‚abzuschottenden‘ Belegen hat. Dazu zählt scheinbar auch eigenes Video-Material, doch diese „kurze[n] Video-Sequenzen“ seien “für den Text nicht relevant“. [10] Offensichtlich wurde beschlossen, von einer vollständigen Veröffentlichung abzusehen und dem an kritischer, unvoreingenommener eigener Prüfung interessierten Leser nur die im Correctiv-Artikel mitgeteilten Informationen zur Verfügung zu stellen.
Besonders deutlich werden Tendenz und Beeinflussungsabsicht des Correctiv-Textes, indem geschickte Wortwahl beim Leser eine Assoziation des Potsdamer Treffens mit der Zeit des Nationalsozialismus hervorruft, etwa wenn von einer „Vertreibung von Millionen von Menschen aus Deutschland“ die Rede ist und es weiterhin heißt: „Was Sellner entwirft, erinnert an eine alte Idee: 1940 planten die Nationalsozialisten, vier Millionen Juden auf die Insel Madagaskar zu deportieren. Unklar ist, ob Sellner die historische Parallele im Kopf hat. Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.“ – ‚Vertreibung‘, ‚Millionen Juden‘, ‚deportieren‘, ‚konspirativ‘, ‚Wannseekonferenz‘, ‚systematische Vernichtung von Juden‘: Stichworte, die in der Berichterstattung dankend aufgenommen wurden.
Kurzum: Mit der Publikation dieses Artikels in seiner aktuellen Fassung verstößt Correctiv gegen die eigenen Grundsätze. Demokratische Zivilgesellschaft erfordert offenen Diskurs und einen Willen zur Wahrheit und weltanschaulicher Konfrontation. Will eine Publikation dem Anspruch genügen, sachlich fundiert, wahrhaftig und einer differenzierten, eigenständigen Meinungsbildung der Leser förderlich zu sein, so muss diese einen neutralen, umfassenden, vollständigen und unvoreingenommenen Bericht bieten – ohne Framing, Nudging oder politische Agenda.
Umso mehr gilt dies, wenn sich der Leser nur einer einzigen Quelle bzw. Quellen ähnlicher politischer Tendenz bedient. Der britisch-österreichische Philosoph Wittgenstein nannte derlei eine „einseitige Diät“. Erst eine Vielzahl an Quellen und unterschiedlichen, konträren Meinungen gestatten es, zu einer differenzierten Einschätzung zu gelangen.
Dabei sollte vor allem ein Recherche-Netzwerk wie Correctiv unabhängig von Vorhaben, welche AfD-Politiker oder andere Personen bekunden, sich an die obig genannten Bedingungen für eine sachliche und differenzierte Publikation und somit richtungsweisend, gleichsam differenzierten, sachlichen und offenen Diskurs and Meinungsaustausch halten – vor allem, wenn dies gemäß seiner Grundsätze gefördert werden soll.
Unterdrückung, Überspitzung, Verzerrung oder wertende Rahmung unliebsamer Positionen sind damit unvereinbar und zeigen zudem eine besorgniserregende Tendenz zu politischer Bevormundung derjenigen, denen man das eigenständige Denken nicht recht zutraut, weshalb man hier nur zu gern – wiederum mit Kant – „die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich“ nimmt. [11]
Referenzen
Bild: © Mohamed Anwar; CORRECTIV – Recherchen für die Gesellschaft gemeinnützige GmbH
[0] Vgl. überblickshaft https://de.wikipedia.org/wiki/Treffen_von_Rechtsextremisten_in_Potsdam_2023#Treffen_in_Potsdam (28.02.2024)
[1] https://correctiv.org/ueber-uns/ (14.01.2024)
[2]https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2022/pressemitteilung-2022-1-afd.html(14.01.2024)
[3] https://www.rnd.de/politik/afd-und-junge-alternative-wo-gelten-sie-als-gesichert-rechtsextrem-und-was-bedeutet-das-BEOYLLR67FCABBNQ6ESSRUZJWM.html (14.01.2024)
[4] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1441112/umfrage/umfrage-verbot-afd/ (14.01.2024)
[5] https://auf1.tv/auf1-spezial/martin-sellner-soros-correctiv-inszenierte-ibiza-anschlag-gegen-afd?mc_cid=2241c0f5fc&mc_eid=af3b37cd5a (19.01.2024)
[6] https://correctiv.org/ueber-uns/ (14.01.2024)
[7] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ (21.01.2024)
[8] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ (21.01.2024)
[9] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/making-of-zur-geheimplan-recherche/ (19.01.2024)
[10] https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/19/faq-geheimplan-recherche-correctiv/ (01.03.2024)
[11] https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/159_kant.pdf (28.02.2024)