5, Juli, 2025
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Tanz in den Herbst – der Merianer Maskenball

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Am Samstag, dem 15.10.22, fand an der Merian Schule ein Maskenball für die Jahrgänge 7 bis 10 in der Audimaxhalle statt. Am Tag zuvor wurde die Halle in den Herbstfarben dekoriert, getreu dem Thema „Tanz in den Herbst“. Der große Raum wurde in zwei Abschnitte geteilt, in einem Abschnitt fand man Tische und Stühle, wo man sich ausruhen, essen und trinken konnte und im anderen Abschnitt befand sich die Bühne mit einer riesigen Tanzfläche. Es gab reichlich Essen am Buffet und genug Getränke, sodass jeder versorgt war. Nach Einlassbeginn um 18 Uhr war es sehr ruhig, aber mit der Zeit füllte sich der Raum und es wurde lauter und unterhaltsamer. Getreu dem Anlass fand man auch viele Masken auf den Gesichtern der Schüler*innen und Lehrer*innen oder zumindest in der Hand. An die formelle Kleidung haben sich auch die Meisten gehalten. Es wurde ein Wettbewerb veranstaltet, wer die beste Maske hat. Der erste und zweite Platz bekam je einen kleinen Preis dafür. Später traten auch die Schülerband der Mittelstufe, als auch die Lehrerband auf. Ansonsten lief viel Partymusik, wozu viele getanzt haben. Später wurde mit zahlreichen Teilnehmer*innen Stuhltanz gespielt. Ansonsten gab es am Eingang ein Gästebuch, in dem sich einige verewigt haben. In einer Fotobox konnte man mit verschiedenen Dingen wie Schnurrbärten oder lustigen Brillen Selfies machen, um diesen Tag nie zu vergessen. Man hörte Leute reden, lachen und sogar jubeln, bis der Ball für alle unter 16-jährigen, was die meisten Personen betraf, um 22 Uhr vorbei war.

Alles in einem lässt sich aber sagen, dass alle sehr viel Spaß hatten und sich auch auf den nächsten Ball freuen.

Merianer bei internationalem und kulturellem Austausch in Ungarn

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Wir, die Klasse 10.4, hatten vor den Herbstferien, vom 9.10.-13.10., die ungewöhnliche Möglichkeit, die Mercedes-Benz-Schule (MBS) in Kecskemét, Ungarn, zu besuchen. Um in diesen, wie die Organisatorin Frau Spiegelhalter sagte, „internationalen und kulturellen Austausch“ zu gelangen, mussten wir allerdings 14 Stunden mit dem Zug nach Budapest fahren. Das war zwar sehr unterhaltsam, aber auch recht ermüdend. In Budapest angekommen, nahmen wir um 9.00 Uhr einen Regionalzug nach Kecskemét. Dort wurden wir in vorher festgelegte Kleingruppen von zwei bis drei Personen von unseren Gastfamilien willkommen geheißen.

Am nächsten Morgen machten wir in der MBS ein Gruppenfoto, um dann im dortigen Mehrzweckraum auf Englisch den Song „All of me“ vor dem eigentlichen Kennenlernen zu singen. Bei diesem wurde dann in Kleingruppen gemeinsam gebastelt und es wurden Banner der Schulen erstellt. Die Verständigung zwischen uns und den ungarischen Schülern erfolgte hauptsächlich auf Deutsch, da die MBS deutschsprachig profiliert ist.

Vorstellung der MBS

Anschließend wurde das Gebäude der MBS vorgestellt, in welchem Schüler von der ersten bis zur zehnten Klasse lernen. Dabei waren die geringe Klassenstärke, die vertraute wie angenehme Atmosphäre und die umfassende Digitalisierung besonders bemerkenswert. Vor allem letzteres war hier sehr stark entwickelt, denn es gab nicht nur Smartboards, sondern jeder Schüler muss ein Tablet oder Laptop besitzen, da im gesamten Unterricht digital gearbeitet wird. Nach dem Rundgang und Ende des offiziellen Kennenlernens wurde uns ermöglicht vor unserer abendlichen Rückkehr zu den Gastfamilien zum Bowlen zu gehen. Letztere waren sehr freundlich und hilfsbereit, weshalb es es bei ihnen sehr erholsam und entspannt zuging.

Budapest

Am nächsten Tag fuhren wir dann, also alle 70 Personen einschließlich der 10.4, nach Budapest. Dort machten wir mit einem entsprechenden Arbeitsblatt eine Stadt-Rallye, um schnellstmöglichst Budapests Sehenswürdigkeiten zu erkunden. Nebenbei konnten wir uns natürlich auch gegenseitig besser kennenlernen und viele schöne, erinnerungsreiche Fotos machen. Den Abend verbrachten wir dann neuerlich in den Gastfamilien.

Am dritten Tag, dem Tag vor der Abreise, war Lasertag angesagt – zumindest für einige. Die Personen, die nicht mitmachen wollten, gingen stattdessen mit den Gastfamilien in ein Restaurant, bis die gemeinsame Abschlussfeier mit viel Essen und Musik stattfand. Nebenbei hat uns ein ungarischer Nachrichtensender interviewt, genauer gesagt die Klassensprecher Marika und Anouche. Aber auch Frau Spiegelhalter und Frau Rothe wurden interviewt. Frau Spiegelhalter meinte, dass die deutschen Schüler sehr erfreut und sehr aufgeregt seien, die ungarischen Schüler im Mai oder Juni zu empfangen und ein tolles Programm zu planen. Die Stadt Kecskemét beschrieb Frau Spiegelhalter als klein und charmant, denn „es erinnert uns auch an unser Metrum, unseren Bezirk Köpenick, wo wir herkommen“. Zudem sei „Berlin […] auch nicht groß“ und die Schüler wohnten „in kleinen Bezirken“. Dies mache Kecskemét „genauso charmant“ wie Köpenick, so Frau Spiegelhalters abschließende Worte.

Insgesamt war die Fahrt nach Ungarn erinnerungsträchtig, schön und wunderbar sowie eine sehr willkommene Abwechslung zum Schulalltag.

Denkmalsturz – geeignetes Mittel im Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung?

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Gegen Rassismus werden Demos organisiert, Workshops durchgeführt, Petitionen gestartet, Reden gehalten, aber zuweilen auch Denkmäler und Statuen beschädigt oder zerstört. Ob dies, wie einige meinen, geeignetes Mittel im Kampf gegen rassistische Diskriminierung ist, oder ob damit ein prinzipiell lehrreicher Teil der eigenen Geschichte ‚gecancelt‘ wird, diskutiert dieser Artikel. 

Das wohl bekannteste Beispiel einer solchen Demontage ist der Abriss der Statue Edward Colstons in Bristol, die 1895, also vor 126 Jahren, dort aufgestellt worden war, um an den Ruf des britischen Unternehmers und Politikers als Philanthrop zu erinnern. Seit 1990 wird über die moralische Angemessenheit einer solchen ‚Verehrung‘ Colstons (1636-1721) diskutiert, da dieser sich auch als Sklavenhändler unrühmlich hervorgetan hatte. Im Mai 2019 sollte der Statue daher eine Plakette beigefügt werden, um Colstons widersprüchliche, aus heutiger Sicht fragwürdige Handlungen historisch zu kontextualisieren; allerdings wurde dies nie umgesetzt. Dann beschmierten Demonstranten, assoziiert mit der ‚Black Lives Matter‘-Bewegung, die Statue, rissen sie am 7. Juni 2020 ab und beförderten sie in Bristols Hafen.

Das sorgte natürlich für hitzige öffentliche Debatten und viel Aufmerksamkeit, welche genutzt wurde, um temporär eine Statue der BLM-Demonstrantin Jen Reid anstelle der Colston-Statue aufzustellen, nachdem diese in den vorausliegenden Wochen Reden auf dem leeren Sockel gehalten hatte. Diese Aktion sei schon mehre Wochen in Planung gewesen, solle das antikolonialistische Anliegen der BLM-Bewegung repräsentieren und die Diskussion am Laufen halten, so Reid. Aufgrund fehlender Genehmigungen wurde die neue Statue schon 24 Stunden später abtransportiert. Dessen ungeachtet folgten diesem Beispiel auch andere Personen, denn in den folgenden Wochen wurden weitere Statuen in London, Bristol und Minnesota abgerissen und in Flüsse geworfen. 

Die hierbei verfolgte erinnerungspolitische Strategie ist nicht neu. Schon in der Antike wurden Statuen unliebsamer Herrscher und Politiker der Vergangenheit beschädigt, deren Konterfei wurde unkenntlich gemacht: Eine solche ‚damnatio memoriae‘ (lateinisch für „Verdammung des Andenkens“) bedeutete die Verfluchung und demonstrative Tilgung des Andenkens an eine Person durch die Nachwelt.

Ein Denkmal ist – um die Duden-Definition aufzugreifen – eine „zum Gedächtnis an eine Person oder ein Ereignis errichtete, größere plastische Darstellung“, die öffentlich zugänglich sein muss. Deren Funktion ist primär, etwas oder jemanden in der kollektiven Erinnerung zu bewahren. Wer oder was eines solchen Gedächtnisses für würdig befunden wird, hängt dabei maßgeblich von den jeweiligen soziokulturellen Umständen ab. Denkmäler sind daher nicht nur zu einer bestimmten Zeit, sondern zugleich auch immer – meist von den herrschenden Klassen und auf Basis bestimmter Ideale und Wertvorstellungen – für diese Zeit geschaffene Symbolpolitik.

Denkmäler dienen nicht zwingend der Glorifizierung von Ereignissen oder Personen oder als kulturpädagogische Mittel zur Erziehung der Bevölkerung im Geiste des und in Orientierung am Dargestellten. Mahnmale etwa setzen eine negative Wertung des thematisierten oder dargestellten Sachverhalts voraus und sollen diesen gleichsam mit abschreckender Wirkung als unrühmlichen Teil der eigenen Geschichte im kulturellen Gedächtnis bewahren.

Gleichwohl sind viele Denkmäler im gewissem Sinne Mittel der Glorifizierung. Und in Deutschland, Europa und der Welt finden sich viele Statuen von Personen, die aus heutiger Sicht inakzeptable Überzeugungen und Einstellungen hatten, durch ihr Handeln gegen heute geltende Rechts- und Moralprinzipien verstoßen haben oder uns (allen, vielen, einigen) in anderer Hinsicht ‚problematisch‘ erscheinen. In Berlin finden sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt rund 290 Statuen und Straßennamen, die an Personen erinnern, welche sich in Denken und/oder Handeln antisemitisch hervorgetan haben.

Die Demonstranten in Bristol rissen die Statue ab, da diese, wie es hieß, ,,eine inakzeptable Art und Weise war, sich an der politischen Debatte zu beteiligen“. Im Grunde fand man es unerträglich, öffentlich errichtete Objekte fest in Kultur und Stadtbild verankert zu sehen, mit denen Personen in ein positives Licht gerückt oder als des Nacheiferns würdige Vorbilder präsentiert wurden, obwohl diese nachweislich rassistische Überzeugungen vertreten oder sich gar – z.B. als Sklavenhändler – diskriminierend geäußert und verhalten hatten.

Man muss allerdings bedenken, dass sich Wertvorstellungen und Normen seither beträchtlich verändert haben: Die meisten Statuen oder Straßennamen stammen aus einer Zeit, in der es üblich oder zumindest normal war Antisemit zu sein. Zudem sollten die betreffenden Personen nicht nur auf ihre antisemitischen Einstellungen reduziert werden: Martin Luther, Richard Wagner oder Karl Marx waren nicht nur Antisemiten, sondern auch Reformatoren und Übersetzer, einflussreiche Komponisten oder bedeutende Philosophen und Gesellschaftstheoretiker. Und die diesen Personen gewidmeten Denkmäler wurden nicht aufgerichtet, weil sondern ungeachtet der Tatsache, dass diese Antisemiten waren. Die Funktion der Denkmäler ist nicht, menschenverachtende Weltanschauung und Rassismus zu glorifizieren. Es ist auch unwahrscheinlich, dass durch die Denkmäler die Akzeptanz gegenüber bestimmten Weltanschauungen zunähme oder Menschen durch das Betrachten z.B. einer Luther-Statue dazu verleitet würden, Rassisten oder Antisemiten zu werden.

Mit der passenden Kontextualisierung wäre es umstandslos möglich, die ursprünglich auf Wertschätzung bedeutender Persönlichkeiten abzielenden Statuen – in Gänze oder in Teilen – zu Mahnmalen umzuwidmen, die sich kritisch mit den negativen und widersprüchlichen Aspekten deutsche Geschichte auseinandersetzen.

Es ist im Übrigen fraglich, ob das Entfernen ‚problematischer‘ Denkmäler überhaupt das eigentliche Problem löst, welches darin besteht, dass auch heutzutage noch viele Menschen diskriminierende Überzeugungen haben oder entsprechend handeln. Manche behaupten sogar, dass westeuropäische Gesellschaften ‚systemisch‘ rassistisch sind, also ihrem inneren Wesen nach. Aber inwiefern nun das Abreißen einer – vor etwaigen Protesten überwiegend unbeachteten – historischen Statue dieses Problem löst oder trägt auch nur in einer spürbaren Weise dazu bei? Wohl eher wenig bis gar nicht. Es werden keine diskriminierenden Gesetze abgeschafft, keine Schüler aufgeklärt, keine gesellschaftlichen Wertvorstellungen signifikant verändert oder die weiterhin zu hohe Anzahl alltagsrassistischer Verhaltensweisen merklich reduziert.

Zweifellos ist es positiv zu bewerten, dass es heutzutage einen gewissen Druck gibt, Objekte aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, welche i.w.S. rassistische oder menschenverachtende Implikationen besitzen, denn dies zeigt einen begrüßenswerten Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Es ist positiv zu bewerten, dass sich die Gesellschaft insgesamt so sehr zum Guten gewandelt hat, dass Druck besteht, Gleichberechtigung zu schaffen.

Aber Pragmatismus und Augenmaß tun Not: Wollte man alle 290 Straßennamen und Statuen in Berlin modifizieren, wäre dies ein gewaltiger organisatorischer Aufwand und mit hohen Kosten verbunden. Bei den Straßennamen käme noch hinzu, dass auch Ausweise, Pässe und Adressdaten geändert werden müssten – wer wäre dazu bereit? Wer wäre dazu bereit, feste Bestandteile des Stadtbilds derart nachhaltig zu verändern? In manchen Städten sind Denkmäler geradezu Sehenswürdigkeiten, Teil der Stadtkultur. Man denke nur an Luthers Wirkungsstätte Wittenberg oder Wagners Bayreuth.

Insgesamt denke ich, dass der Denkmalsturz die falsche Herangehensweise ist, denn am eigentlichen Problem wird nichts Wesentliches geändert, man beschränkt sich vielmehr auf öffentlichkeitswirksam-provokatives Symbolhandeln — und stellt zum Teil wohl auch sich selbst als moralisch überlegen auf einen Sockel. Zwar zeigen derlei Aktionen eine positive gesellschaftliche Entwicklung auf, sind indes nicht zielführend und effizient genug, um wirklich illegalen Vandalismus in der öffentlichen Sphäre zu rechtfertigen. Vor allem auch wären andere Vorgehensweisen effektiver, ohne Teile des Stadtbildes zu zerstören, Personen auf negative Eigenschaften zu reduzieren oder etwas zu entfernen, das uns (mit der richtigen Kontextualisierung und Debatte) auf aktuelle Probleme aufmerksam machen könnte, denn: Geschichte wird – zumindest manchmal – erzählt, damit sie sich nicht wiederholt.

NATO Ost-Erweiterung

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Während die Kriege im Jemen, in Syrien und Afghanistan kaum noch im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit sind, besitzt der Ukraine-Krieg für uns eine kaum zu leugnende Brisanz und Relevanz. Da er gleichsam ‚vor unserer eigenen Haustür‘ stattfindet und – abgesehen davon, dass er selbst gut informierte Beobachter überrascht hat – erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen zeitigt. Bekanntlich haben nun Kriege nicht nur einen unmittelbaren Anlass oder Provokateur – eine Partei, die die Grenzen überschreitet –, sondern in diachroner Perspektive meist vielfältige Ursachen. So auch der Ukraine-Krieg. In diesem Artikel geht es um eine Ursache – manche meinen: eine vorgeschobene Begründung – des Ukrainekriegs, die NATO-Ost-Erweiterung.

Der historische Bezugspunkt für Russlands Handlungen ist das Ende des Kalten Krieges. Hierbei führte die Auflösung des Warschauer Pakts am 31. März 1991 de facto zur Auflösung des Ostblocks, während der ‚Westblock‘ und die NATO bestehen blieben. Dieses Bündnis nahm ab 1990 weitere Länder auf, wobei der heutige Konflikt maßgeblich durch diese Aufnahme beeinflusst wurde. Denn es wurden auch Staaten östlich der Elbe aufgenommen, was allerdings der zwischen George H.W. Bush und Mikhail Gorbatchev auf dem Malta-Gipfel am 3. Dezember 1989 geschlossenen mündlichen Vereinbarung widerspricht, der zufolge die NATO zusagte, den Rückzug der Sowjetunion in Osteuropa nicht auszunutzen.[1]

So sei Gorbatchev vom US-Außenminister Baker am 9. Februar 1990 versichert worden, dass die Militäreinheit sich ,,nicht einen Zoll in östliche Richtung“ ausdehnen würde. Der US-Botschafter der UdSSR meint, Baker habe beabsichtigt, Gorbatchevs Zustimmung zu einer Aufnahme Deutschlands in die NATO zu gewinnen, da Deutschland im Falle eines Nichteintritts in die NATO sich unabhängig in jede beliebige Richtung ausdehnen sowie Atomwaffen erwerben könne: „[a]ssuming there is no expansion of NATO jurisdiction to the East, not one inch, what would you prefer, a Germany embedded in NATO, or one that can go independently in any direction it chooses[?]”. Zudem sei die Sprache der Vereinbarung eindeutig und unmissverständlich gewesen, wie US-Botschafter Matlock berichtet: “the language […] was absolute, and the entire negotiation was in the framework of a general agreement that there would be no use of force by the Soviets and no ,taking advantage’ by the U.S.”

Des Weiteren wurde die Aussage Bakers, die NATO hätte keinerlei Absicht ihren Verteidigungs- und Sicherheitsbereich in Richtung Osten zu erweitern, wiederholt unterstrichen. Dies sei der Überzeugung der NATO nach  „Teil der Partnerschaft für Stabilität, die wir dem Osten anbieten können, indem wir ganz klar machen: Was auch immer innerhalb des Warschauer Paktes passiert, auf unserer Seite gibt es keinerlei Absicht, unser Verteidigungsgebiet – das Verteidigungsgebiet der Nato – Richtung Osten auszuweiten”.[2] US-Außenminister Baker machte anlässlich der 2+4-Gespräche am 9. und 10. Februar 1990 in Moskau klar:  „[W]ir [Baker und Genscher], [stimmen] voll darin überei[n], dass es keinerlei Absicht gibt, den NATO-Verteidigungs- und Sicherheitsbereich in Richtung Osten zu erweitern“. Dies gelte nicht nur für die DDR[PR1] , wie es oft interpretiert wurde, sondern auch für alle anderen Ostblock-Staaten, wie die NATO bekannt gab: „Das gilt nicht nur für die DDR […], sondern auch für alle anderen östlichen Länder.“

Aus russischer Sicht wird argumentiert, dass die NATO den 2+4-Vertrag, welcher die endgültige innere sowie äußere Souveränität Deutschlands herstellte, durch die Aufnahme von Polen, Tschechien und Ungarn 1999, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien und der Slowakei 2004, Kroatien und Albanien 2009 sowie Montenegro 2017 und Nordmazedonien 2020 nicht einhielt. [4] Hierbei ist zu erkennen, dass die Ost-Erweiterung insbesondere 1999 und 2004 stattfand, wobei aus russischer Sicht der Rückzug der Sowjetunion aus Osteuropa ausgenutzt worden sei. Da die ehemaligen Warschauer-Pakt Staaten nun der NATO beitraten, deren Einflussbereich Richtung Osten und somit Russland ausgedehnt worden sei. Somit sei die Auflösung des Ost-Blocks ausgenutzt, da der Westen entgegen seiner Aussagen am 9. Februar 1990 in Washington D.C. handelte. Dies hatte Gorbatchev verhindern wollen. Allerdings argumentieren andere, dass es bei den Gesprächen im Februar 1990 nur um die Ausdehnung der integrierten NATO-Verteidigungsstrukturen nach Osten ging, nicht um eine Erweiterung der NATO-Mitgliedschaft. Auch wurden die Aussagen der NATO im Bezug auf die Osterweiterung später relativiert. Denn man habe es nicht so gemeint und habe der sowjetischen Führung ,über die Hürde‘ helfen wollen, einem wiedervereinigten Deutschland zuzustimmen. Insofern verstoße die NATO-Ost-Erweiterung nicht gegen den 2+4-Vertrag.

https://www.whitehouse.news/2022-03-10-us-confirms-biolabs-ukraine-russian-attack.html

Anhand der Grafik kann man erkennen, dass NATO und USA etliche Militärstützpunkte unmittelbar vor Russland positioniert haben, wie auch Biowaffenlabore der USA in der Ukraine. [5] Dies könnte auf eine Kooperation hindeuten, obwohl die Ukraine derzeit aus formal-rechtlichen Gründen der NATO nicht beitreten kann, da sie sich in einem bewaffneten Grenzkonflikt befindet. Allerdings wurde der beim Gipfeltreffen 2008 in Bukarest projektierte Beitritt der Ukraine bislang nicht konkret in Angriff genommen. [6]

Auf dem Gipfeltreffen [7] wurden allerdings auch generelle Bedenken gegenüber einer fortschreitenden Osterweiterung geäußert. Speziell bezüglich der Ukraine. Beispielsweise mahnten SPD-Fraktionschef Peter Struck und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Ruprecht Polenz (CDU), vor einem Beitritt der Ukraine, um „einen Streit zu vermeiden“ und „die Sicherheitsinteressen“ Russlands zu berücksichtigen.  [8] Denn die Ukraine sei für Russland wegen des Transports der Ressourcen über u.a. Gas-Pipelines relevant, aber auch aufgrund taktischer Erwägungen von Interesse. Wie eine Korrespondenz zwischen der US-Botschaft in Moskau mit dem US-Außenministerium mit dem Titel “Nyet Means Nyet: Russia’s NATO Enlargement Redlines” vom 1. Februar 2008 belegt. [9] Dieses Dokument zeigt die Kommunikation zwischen US-Botschafter Burns (jetzt stellv. Außenminister) und dem russischen Außenminister Sergei Lavrov. Insbesondere werden Lavrovs ausdrückliche Bedenken gegenüber einer Aufnahme der Ukraine deutlich. Denn eine Ost-Erweiterung, so Lavrov, würde eine zunehmende militärische Bedrohung Russlands seitens der NATO darstellen. Außerdem sei es strategisch äußerst wichtig, keinen Beitritt zu erwägen, da es in der Ukraine zu einer Spaltung mit handgreiflichen Konflikten, eventuell bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen könnte, in denen Russland geneigt wäre, einzugreifen. Erforderlich könnte dies aufgrund der (auch ethnischen) Spaltung der Bevölkerung und möglicherweise der vermehrten Gewalt gegenüber der pro-russischen Minderheit, dies könne zu einer direkten Opposition zwischen Russland und NATO und mittelfristig zu einem neuen Kalten Krieg führen. Damit dies nicht geschehe, habe Russland, das seine nationalen Sicherheitsinteressen untergraben sehe, seine roten Linien gezogen. Aus Sicht Russlands wurden Zusagen missachtet, die nicht nur in Washington D.C. und Moskau 1990, sondern auch in Brüssel am 17. Mai 1990, bei einer Rede von Manfred Wörner, der NATO Generalsekretär gegeben worden seien [10], denn Russland’s Sicherheitsinteressen seien nur solange gewahrt, wie die Korrespondenz, also die erwähnten Zusagen im Mai 1990 in Brüssel und Moskau eingehalten würden. Dem entspricht die Aussage des damaligen NATO-Generalsekretär Wörner: „The fact that we are ready not to place a NATO army outside of German territory gives the Soviet Union a firm security guarantee”. Diese „NATO army” bezieht sich nicht nur auf Truppen, sondern auch auf militärische Präsenz in Form von beispielsweise Militärstützpunkten oder Stützpunkten zur Raketenabwehr, welche nahe Russland stationiert wurden.

Ob diese möglichen Beweggründe legitim sind, kann man diskutieren. Jedenfalls ist Russlands Reaktion, ein Völkerrechtsbruch, unangemessen. Völkerrechtsbruch bleibt Völkerrechtsbruch. Das moralisches Überlegenheitsgefühl oder ,the moral highground‘ des Westens ist indes ebenfalls unangebracht, weshalb ein offenes Auge und eine offene Einstellung auch abseits von Spiegel, Bild und Co. für die aktuelle Situation und Entwicklung durchaus empfehlenswert ist. Da in einer vergleichbaren Situation im Jahr 2003 beim Angriff auf den Irak ebenfalls ein Völkerrechtsbruch stattfand, dies jedoch keine vergleichbare Empörung und mediale Aufmerksamkeit auslöste. Anhand dessen kann man erkennen, dass hierbei mit zweierlei Maß gemessen wird. Nichtsdestotrotz ist Putins Verhalten nicht gerechtfertigt, dies wollen wir in dem Artikel auch nicht behaupten, es geht uns hierbei nur darum, historische Zusammenhänge zu beleuchten.

[1] https://www.globalresearch.ca/western-media-blackout-on-the-atrocities-committed-in-odessa-and-eastern-ukraine/5383168 (19:48 16.3.2022)

[2] https://www.zeit-fragen.ch/archiv/2022/nr-2-25-januar-2022/macht-vor-recht-wie-lange-noch.html (11:43 20.4.2022)

[3] https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=79877 (11:44 20.4.2022)

[4] https://de.wikipedia.org/wiki/NATO-Osterweiterung#Kontroversen (13:13 7.5.2022)

[5] https://www.whitehouse.news/2022-03-10-us-confirms-biolabs-ukraine-russian-attack.html# (12:12 20.4.2022)

[6]https://www.nato.int/cps/en/natolive/official_texts_8443.htm (11:45 20.4.2022)

[7] https://consortiumnews.com/2014/05/15/how-nato-jabs-russia-on-ukraine/ (19:55 16.3.2022)

[8] https://www.tagesspiegel.de/politik/gipfel-in-bukarest-wieviel-osten-vertraegt-die-nato/1203408.html (13:14 7.5.2022)

[9] ] https://wikileaks.org/plusd/cables/08MOSCOW265_a.html (14:50 21.4.2022)

[10] ] https://fabiusmaximus.com/2015/12/03/nato-breaks-deal-with-russia-91618/ (19:56 16.3.2022)

Der Tod des Pazifismus

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Der Pazifismus ist tot, wir haben ihn getötet (bleibt er tot?). In ruhigen Zeiten ist doch fast jeder Pazifist. Wenn Frieden an allen Fronten herrscht, wer ruft dann nach Krieg? So haben wir uns in unseren gemütlichen westlichen Demokratien lange vorgemacht, irgendwie sei doch alles in Ordnung. Die Menschheit ist über die primitive Praxis des Krieges hinausgewachsen, wir haben aus dem zwanzigsten Jahrhundert gelernt und jetzt wird es solche Abscheulichkeiten einfach nicht mehr geben. Ganz zu schweigen davon, dass es nach dem Fall der Sowjetunion (der ja oft als Zeitpunkt genannt wird, an dem die Ära der Kriege endete) schon zahlreiche weitere Kriege im Kosovo, Iran, Irak, Syrien und Afghanistan (und das sind nur die prominentesten Beispiele) gab, ist vor allem die Attitüde der Staaten gleichgeblieben.

 Zwar wurden in den 90ern einige Atomwaffensperrverträge unterzeichnet und der Internationale Gerichtshof erklärte 1996 den Besitz von Atomwaffen sogar als illegal, die Realität sieht jedoch wieder einmal anders aus. Zwar hat sich der weltweite Atomwaffenbestand von seiner Höchstanzahl 1986 (70.300) mittlerweile auf 12.705 reduziert (Der Staat mit den meisten Atomsprengköpfen ist übrigens Russland), jedoch ändert das wenig an der generellen Lage beim Thema weltweite Militarisierung. Denn mittlerweile ersetzen die Großmächte ihre teuren und verstaubten Atomwaffen lieber mit neueren Technologien, wie mit künstlicher Intelligenz betriebene Drohnen oder Raketen mit Hyperschallgeschwindigkeit. Auch ganz allgemein wird fast überall auf der Welt aufgerüstet. Das Stockholmer Friedensforschungsinstitut bezifferte die weltweiten Verteidigungsausgaben 2009 auf 1,531 Billionen US-Dollar, ein Anstieg von +49% vom Jahr 2000. Aktuellste Schätzungen rechnen mit 2 Billionen USD. Selbst in der Corona-Pandemie hatten die Staaten dieser Erde noch das Geld übrig, um den Verteidigungsetat weiter zu erhöhen.

Lange gab es zumindest eine scheinbare politische Opposition gegen diesen Aufrüstungstrend. Mit den Grünen hat im letzten Jahr eine Partei die Regierungsmacht erlangt, die unter anderem durch das Propagieren eines radikalen Pazifismus überhaupt relevant geworden ist. Doch auch diese Tendenzen sind jetzt völlig verflogen, nicht nur bei den Grünen. Der ganze Bundestag (mit vereinzelten Ausnahmen, hauptsächlich bei der Linkspartei) applaudierte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Bekanntgabe der Erhöhung des Budgets für die Bundeswehr um 100 Milliarden Euro. In dieser Debatte, die schon länger relevant ist, jetzt aber natürlich durch den Ukraine-Krieg allerhöchste Priorität erlangte, wurde vor allem von Seiten der Christdemokraten immer mit der Rhetorik argumentiert: „guckt euch mal die Bundeswehr an, die ist ja so schlecht, da funktioniert nichts, weil alles so unfassbar untersubventioniert ist.“ Tatsache ist aber, dass Deutschland weiterhin Platz 7 weltweit in Sachen jährliche Rüstungsausgaben belegt. Von 2010 bis 2020 ist er um mehr als 10 Milliarden Euro angestiegen. Das Problem der Bundeswehr war nie das fehlende Budget, sondern die Standards beim Thema Modernisierung und Digitalisierung.

Doch zurück zum Thema Pazifismus. Was will ich mit diesen ganzen Statistiken eigentlich aussagen? Das Staaten nicht abrüsten, wenn man sie nicht dazu drängt? Das ist so offensichtlich, darüber hätte ich keinen Artikel schreiben müssen. Was mich wirklich stört, ist, dass im Zuge des Ukraine-Konflikts die Aufrüstungsrhetorik voll und ganz in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für die Augsburger Allgemeine begrüßten 74% der Befragten die zusätzlichen 100 Milliarden für die Bundeswehr. Mit Russland haben wir jetzt wieder einen großen feindlichen Aggressor, den es unbedingt zu besiegen gilt. Also ist es doch völlig berechtigt, dass wir jetzt erstmal noch tiefer in die Staatskasse greifen, um noch weiter aufzurüsten, als hätte das irgendwann mal irgendwelche Probleme gelöst. Wenn man diese gesamte Rhetorik, die vor allem von US-Präsident Biden lautstark vertreten wird, mal genauer analysiert, findet man eine verblüffende Argumentationsstruktur vor, die nicht erst seit gestern geäußert wird. Aggressor X fängt einen Krieg gegen Land Z an. Wir werden jetzt überhaupt nicht die Hintergründe dieses Konflikts erwähnen, sondern betrachten ihn als komplett gesonderte Aggression vom restlichen Geschehen. Hier ist die Situation klar. Land X ist der Aggressor und ist ganz allein an allem schuld, deswegen müssen sie besiegt werden, komme was wolle. Danach kehrt alles zur Normalität zurück und wir warten bis zum nächsten Konflikt.

Es geht bei dieser Rhetorik nicht um Frieden oder um Stabilität für die Demokratie, sondern um die Sicherstellung der eigenen Macht. Würde es tatsächlich um die eben genannten Dinge gehen, würden wir nicht bei der ersten Hürde die Diplomatie aus dem Fenster werfen und vielleicht endlich mal einsehen, dass Krieg nicht durch mehr Krieg gestoppt wird.

In the fields, the bodies burning, as the war machine keeps turning” (Black Sabbath – War Pigs)

Zeitzeugengespräch mit Salomon Perel

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Zeitzeugen sind die besten Geschichtenerzähler

Steven Spielberg

Mit Stevens Spielbergs Zitat beginnt Salomon Perel, auch als Sally Perel oder der Hitlerjunge Salomon bekannt, das Zeitzeugen-Gespräch der Klasse 9.4 am 26. Januar 2022. In dem anderthalb-stündigen Vortrag mit der anschließenden und ausgiebig genutzten Möglichkeit, Fragen zu stellen, erzählt Sally Perel Anekdoten seines Lebens: als Jugendlicher in

Die Tatsache, dass ihr auch bereit seit, eine eine Geschichte zu hören, ist für mich ein Beweis, dass ihr euch weigert, geschichtsfrei zu leben.

– Salomon Perel

Braunschweig in der HJ-Akademie, als Dolmetscher in der Wehrmacht sowie der Balanceakts des Lügens, von den traumatischen Erlebnissen in Auschwitz, der Suche nach seinen Eltern, die Wiedervereinigung mit seinem Bruder Jahrzehnte später, als auch die seelischen Spuren, welche bis heute bleiben und tiefe Spaltungen und Konflikte in seinem Geist hinterließen. Vor allem aber betonte der Zeitzeuge die Relevanz des kritischen selbstständigen Denkens, welche den Massen damals gefehlt hätte aber auch heute mangelhaft vorhanden sei, so Perel. Die HJ-Akademie seien vier lange beängstigende und unsichere Jahre gewesen, bei denen Herr Perel auch über 80 Jahre später von vier Ewigkeiten spricht und in welchen er in seiner Erinnerung als kleiner, ängstlicher, hoffender, jüdischer Junge unter dem Mantel des Feindes gelebt hatte. Doch wie kam er als Jude in eine HJ-Akademie? Dies geschah als er infolge der Zerstörung des Geschäftes seiner Eltern im niedersächsischen Peine, seine Heimat 1939, für Polen verließ, nur um dort nach einigen Monaten zu erfahren, dass er ohne seine Eltern mit seinem älterem Bruder David Richtung Osten fliehen muss, da es zu gefährlich für das jüdische Volk wurde und seinen Eltern das Ghetto in Lódz drohte. Er flüchtete Anfang des 2. Weltkriegs nach Minsk, im heutigen Belarus. Dies sei traumatisch und schrecklich, gar höllenähnlich gewesen, denn er habe nur ein Wort dafür: Inferno. Bereits hier begannen die traumatischen Erlebnisse, die ihn bis heute prägen und hier begann die Spaltung seiner Seele, die bis heute andauert, wie er uns erzählt. Doch vor seiner Ankunft in Minsk musste er sich einer rassischen Kontrolle unterziehen und war gezwungen vor dem Offizier im Getöse der Flugzeuge zu entscheiden: Leben oder Tod. Er entschied sich für die Worte seiner Mutter: “Sally, du sollst leben!”, entgegen die Worte seines Vaters: “Sali, unter jeden Umstand, darfst du nicht nachkommen. Bleibe Jude. Bleibe bei Gott und er wird dich immer beschützen”. 

In den Sekunden der Entscheidung über Leben und Tod herrschte in seinem Kopf totales Chaos, wie er uns heute erzählt. Doch der Lärm gab ihm wichtige Sekunden, in denen er entschied, Josef Perjell zu heißen, nicht

In diesem Sekunden, in meinem Kopf herrschte totales Chaos. Meine Gedanken rasten […] du sollst leben. Die Angst führte eine wunderbare Stimme, die gar keinen Zweifel hinterließ: Ich bin Volksdeutscher, ich bin kein Jude.

– Sally Perel

Salomon Perel, wie er dem Offizier zuerst geantwortet hatte, was aber im Lärm unterging. So antwortete er mit fester Stimme und mit einer Sicherheit und Überzeugung, von der er heute nicht weiß, woher er sie hatte, der Frage des Offiziers: “Josef Perjell. Ich bin Volksdeutscher. Ich bin kein Jude”. Der Offizier akzeptierte das und kontrollierte diese Aussage nicht, womit er Salomon wohl das das Leben rettete. Doch die folgenden Jahre in der Akademie wurden von der ständigen Angst und Verzweiflung, entdeckt und hingerichtet zu werden, überschattet. Obwohl es doch auch schöne Momente seines Lebens waren, durfte er mit seinen Lügen kein Mistrauen erwecken und musste sich ständig trotz seiner schrecklichen Vorstellungen des Entdeckens und Vollstreckens seinen Mut geben. Aber in solchen Momenten tiefster Verzweiflung, so Perel, habe er nie aufgegeben, nie die Hoffnung verloren, er habe auch nie an Selbstmord gedacht. „Denn sie würden mich nicht entdecken, sollten sie dies tun, vertröstete ich mich, indem ich mir sage, dass sie mich nicht hinrichten würden“, erzählt Perel in unserem Gespräch. Diese Hoffnung und dieser Optimismus trotz der permanent hohen Gefahr des Todes entsprang von diesem Gedanken: “Man will ja nicht sterben, ohne vorher gelebt zu haben”. Während der ständigen Umgebung mit den nationalsozialistischen Ideen in der HJ-Akademie Braunschweig begann Perel diese Ideen zu unterstützen und sich sogar damit zu identifizieren, die Ideologie später sogar lehrte, wie er zugab. Er stellte auch fest, dass es schöne Momente gab, wie die sportlichen und gemeinschaftlichen Aktivitäten sowie, dass er nette Menschen kennenlernte. In der HJ Zeit begann sein seelischer Konflikt durch seine Identifizierung mit dem NS, weshalb er teils vergaß, dass er nicht Josef Perjell sondern Salomon Perel hieß, dass er eigentlich Jude war und dass er seiner selbst eigentlich hassen müsste, da er sich mit der NS-Ideologie identifizierte. Doch letzteres geschah nicht. Er erkannte allerdings, dass sich unter den prächtigen, schwarzen Uniformen mit den Hakenkreuzen normale Menschen mit Familie, Haustieren und Verwandten befanden, welche jedoch zu unsäglichen Verbrechen fähig waren, welche aus der Zugehörigkeit zu einer Masse resultieren würden. Denn „in der Masse gäbe es kein kritisches und selbstständiges Denken mehr“, wie er anmerkt. Durch den künstlichen Feind, den Juden, sei das Volk zum Krieg aufgehetzt worden. Diese seien vielfach im KZ-Auschwitz ermordet worden, was er mit eigenen Augen sah, weshalb er die Schreie der zu Asche verbrannten Kinder immer noch höre. Sie seien mit dem Alter immer deutlicher zu hören. Es lässt ihn heute schließen: “Auschwitz ist die Todesfabrik der Nazis. Dieser Schandfleck der deutschen Geschichte wurde zum Symbol der schlimmsten Tragödie der Menschheit. Wir werden Auschwitz nie loswerden, […] Auschwitz kann man nicht wie Staub vom Mantel abschütteln, es ist zu tief im Gewebe. Wenn jemand sich vorstellen möchte, was [Apokalypse] bedeutet, was [Weltuntergang] bedeutet, [der] soll sich Auschwitz vor Augen halten.” Während der Akademie-Zeit und des Krieges erlebte er weitere traumatische Erlebnisse, wie die tägliche Fahrt in einer Straßenbahn, welche mit Stacheldraht umzäunt war, durch das Ghetto in Lódz. Er hätte einmal vermeintlich seine Mutter gesehen, jedoch ist das ungewiss, schildert er. Doch was hätte er tun können, ohne die Worte seiner Eltern zu brechen und sich zu verraten? Nach Kriegsende und der Akademiezeit wollte er nach Lódz fahren, um seine Eltern zu suchen, doch es war schon in den Händen der Sowjetunion. Ihm wurde angeboten, als Dolmetscher in einer sowjetischen Besatzungsbehörde in der Roten Armee zu arbeiten, was er annahm, in der Hoffnung nach Lódz zu gelangen.

Wenn jemand sich vorstellen möchte, was [Apokalypse] bedeutet, was [Weltuntergang] bedeutet, [der] soll sich Auschwitz vor Augen halten

Sally Perel

Erst etwas später erfuhr er von Überlebenden aus Lódz, dass seine Eltern beide in dem Ghetto umgekommen waren. Nachdem er sich entschied, den Posten als Dolmetscher zu verlassen, erfuhr er, dass seine Brüder David und Isaac beide noch leben, sodass er Isaac und seine Frau Mira besuchte, wo er erfährt, dass seine Eltern zu dem Zeitpunkt, als er durch das Ghetto fuhr, noch lebten. Dies rief erneut tiefe Gewissenskonflikte in ihm auf, denn er hatte seine Mutter vermutlich gesehen, aber nichts getan. Trotz der Verzweiflung und Trauer über die Tatsache, dass er sich nicht die Mühe gemacht hatte, seine Eltern möglicherweise ein letztes Mal zu sehen, sagt Perel uns heute, dass es „die richtige Entscheidung“ war, da er noch lebe. Es war auch richtig, trotz der sich dadurch vertiefenden Spaltung, sich seinen Eltern nicht im Ghetto zu kenntlich machten. Heute kann er sagen, dass die Sozialisierung in der HJ zwei Persönlichkeiten in ihm geformt hat.

Lügen ist manchmal eine sehr effektive Waffe. Eigentlich ist Lügen unmoralisch aber wenn dein Leben in Gefahr ist [und] wenn die Wahrheit dich töten will: Lüge!

Salomon Perel

Eine, die von den Ideen des Nationalsozialismus überzeugt ist. Die Andere ist sich seiner ursprünglichen Identität bewusst und hält die nationalsozialistischen Ideen für abwegig und falsch, klärt deswegen über diese Zeit auf. Beide Persönlichkeiten, seine zwei Teile der Seele, so Perel, stünden permanent im Konflikt miteinander. Doch damit so etwas nicht der heutigen Jugend geschieht, dürfe diese sich nicht schuldig machen. Denn sie sei keineswegs am Geschehen während der Nationalsozialismus schuldig, könne sich aber schuldig machen. Damit dies nicht passiert, solle die Jugend kritisch denken und alles hinter fragen und nicht den falschen Ideen verfallen, appelliert Perel. Doch so etwas passiere wieder und er hätte mit uns gesprochen, um “euren Verstand mit der vollen Wahrheit zu beleuchten […] und ich beauftrage euch, nicht der neuen Propaganda zu verfallen“.

Fragen und Antworten

Anschließend gab es eine Möglichkeit, Fragen zu stellen, welche hier mit den Antworten aufgeführt werden. Wir möchten uns bei Herrn Perel bedanken, der uns die einzigartige Möglichkeit gab mit einem Zeitzeugen zu sprechen, sowie bei Frau Spiegelhalter wegen der Organisation über dem Kinderring als auch den Moderatoren Sofia Sanfillippo, Anouche Siodlaczek und Greta Gerson. 

Hätten Sie mit ihrem Wissen auf der Flucht anders gehandelt? Die Tatsache, dass ich überlebte ist der Beweis, dass ich alles richtig getan habe. Ich glaube ich aber, ich habe alles richtig gehandelt, aber ich lebte natürlich in einer Lüge. Aber wie ich vorher schon sagte, um Leben zu retten darf man lügen. Ich bereue auch nichts. Ich habe alles richtig getan, weil ich überlebt habe. Das war mein persönlicher Kampf gegen die Nazi-Vernichtungs-Maschinerie.

Wie definieren Sie sich heute? Ich bin ein freidenkender Israeli. Israel sehe ich als mein neues Vaterland und Deutschland als mein Mutterland. Wenn ich schon auch bei dieser Gelegenheit meine politische Ansicht erzählen darf, in Israel bin ich Mitglied der Friedensbewegung für eine gerechte Lösung des blutigen Palästinenserkonfliktes, denn nur eine gerechte Lösung ist eine dauerhafte. Und was ist nun die echte dauerhafte Lösung? Israel muss auf ihre Besatzungsideologie verzichten, alle Siedlungen, also alle besetzten Gebiete räumen und erlauben einen selbständigen Palästinenserstaates mit der Hauptstadt Ostjerusalem entstehen zu lassen, nur diese Lösung wird uns zum echten Frieden bringen, alles andere, was unsere Regierung unternehmen, ist Kosmetik.

Sie haben ja erzählt, dass Sie sich mit dem NS identifiziert haben. Inwiefern und wieso? Denken Sie heute noch genau so? Ja ich lebe weiterhin ein Doppelleben. Ich bin dauerhaft in einem Dialog oder Streit, je nachdem, mit Jupp. Manchmal hat er die Oberhand aber meistens der heutige Israeli in mir. Aber er ist noch lebhaft in mir vorhanden, so wie ich sagte, ich führe weiterhin ein Doppelleben. Ich bin nicht derselbe Sally welcher er war als ich meine Eltern verlassen musste. 

Wie fühlten Sie sich als Jude in der HJ ausgebildet zu werden?Ich fühlte mich nicht wohl, aber gewisse Verteidigungsmechanismen haben mich dazu gebracht, zu vergessen, dass ich Jude bin. Sonst hätte ich irgendeinen Fehler gemacht, nur so habe ich überlebt. Natürlich habe ich nicht auf Kosten anderer überlebt, ich habe nie jemanden erschossen. Sodass ich mit voller Moral darüber reden darf. Ich fühle mich nicht als Verräter an mein Volk. Ich schätz jeder von meinem Volk, bis auf wenige Ausnahmen, ist bereit mir mit Verständnis entgegenzukommen. 

Was war das Erste, was Sie machen wollten, nachdem Sie frei waren? Ich wollte nach Lódz fahren, um zu erfahren, ob meine Eltern überlebt haben. Aber damals ging es nicht, das war schon in russischen Händen, dann wurde mir angeboten Dolmetscher bei der russischen Besatzungsbehörde zu sein. Klar habe ich zugestimmt. So wurde ich Dolmetscher bei der Roten Armee. Aber ich habe erfahren, wie meine Eltern umgekommen sind, von Menschen, die das Ghetto Lódz überlebt haben. Mein Vater ist aus Hunger gestorben und meine Mutter wurde auf eine sehr tragische Weise getötet, als der Befehl war, das Ghetto Lódz zu liquidieren, kam aus Hamburg die Polizei mit einer Kolonne von Lastwagen, die abgedichtet sind, und die Opfer die noch im Ghetto lebten, wurden dort eingepfercht und die Abgase von dem Auto gingen nach innen, sodass die Menschen erstickten und in ein Massengrab geworfen. Ich frage mich öfters, woran meine Mutter dachte, als sie beim Ersticken war. Bestimmt hat sie auch gesagt, Sally du sollst leben. Aber das habe ich erst nach dem Krieg erfahren.

Haben Sie noch Kontakt zu Personen aus der HJ? Ja, ich hatte jahrelang gute Kontakte mit den Jungs aus der HJ. Auch mit dem Soldaten, der mich fragte, ob ich Jude sei. Sie sind schon fast alle gestorben. Ich bin glaube ich der Letzte aus der HJ. Als ich noch in Deutschland war, haben wir uns immer getroffen. Mir sagte mal einer: „Aber Jupp, wir waren doch solch gute Freunde, warum hast du mir nicht gesagt dass du Jude bist? Da hätte ich dir doch geholfen“. Ich sagte aber: „Wir waren keine Freunde, es war zwischen uns keine echt Freundschaft“. Denn was bedeutet eine echte Freundschaft? Du hast Freunde, um der Person deine geheimsten Geheimnisse zu offenbaren. Ohne Angst zu haben, was man sogar den Eltern nicht erzählt. Aber dann fragt man sich, kann ich dir wirklich die Wahrheit sagen, wo du jahrelang zusammen gegen mich aufgehetzt wurdest? Wir waren keine Freunde oder Kameraden, wir waren maximal Schicksalskameraden. Aber heute, sagte ich, könne wir Freunde werden. Würde jeder Mensch aus seinen Feinden Freunde machen, würde die Welt besser aussehen.

Haben Sie immer noch Albträume? Ja natürlich, seit damals, träume ich sehr oft davon in der Straßenbahn durch Ghetto zu fahren und will meine Mutter sehen. Dieser Traum verfolgt mich sehr oft. Aber ich hatte auch schöne Erlebnisse, die muss man auch erzählen, meine erste Jugendliebe. 

Können Sie Parallelen zwischen damals und heute erkennen? Ja, leider gibt es in der Gegenwart leider wieder Menschen, diedasselbe denken, wie damals. Jeder Mensch hat ein Recht auf seinenGlauben und er muss als solcher auch in die Gesellschaftaufgenommen werden. Mensch gleich Mensch, dass ist die beste Antwort.

Rot-Rot-Grün – zwischen Klimarettung und Ökosozialismus

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Der September ist angebrochen und es sind nicht einmal mehr zwei Wochen bis zur Bundestagswahl. Seit einiger Zeit ist die SPD in den Umfragen stärkste Kraft (eine von INSA geführte Umfrage vom 10.09. führt die Sozialdemokraten auf Platz Eins mit 26%, dahinter Union mit 20%, Grüne mit nur 15%) und auch die Beliebtheitswerte von Kanzlerkandidat Olaf Scholz sind hoch. Diese mit Hinblick auf die letzten Wahlergebnisse der SPD (20,5% bei der Bundestagswahl 2017, 15,8% bei der Europawahl 2019) überraschende Entwicklung läutet die heiße Phase des Wahlkampfs ein. Deswegen rücken auch Fragen nach möglichen Regierungskoalitionen in den Vordergrund. Schon im April äußerten sich parteiinterne Größen der SPD wie der Parteivorsitzende Frank Walter-Borjans negativ gegenüber einer erneuten Zusammenarbeit mit der CDU. Auch das Parteiprogramm ist ein Versuch einer Kursänderung. Stramm nach Links und vor allem weit weg vom Status GroKo (no pun intended). Eine neue Regierung unter neuer Führung scheint absehbar, vor allem, weil die Fauxpas und die daraus resultierenden Umfragewerte von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet Wählerinnen und Wählern der Christdemokraten keine Hoffnung machen sollten und klar aufzeigen, dass eine Mehrheit der deutschen Bevölkerung einen politischen Richtungswechsel anstrebt. Wie könnte also eine sozialdemokratisch-geführte Regierung aussehen?

Wer, mit wem?

Fakt ist, eine Zweierkoalition, egal in welcher Konstellation, scheint sehr unwahrscheinlich. Das mit dem Umfragetief der CDU ebenfalls einhergehende Umfragetief der Grünen macht vor allem die Unbeliebtheit der jeweiligen Kandidatinnen bzw. Kandidaten auf das Kanzleramt evident. Auch die starken Umfragewerte der FDP (zuletzt bei um die 13%) führen zu einer immer gleichwerdenden Verteilung der Stimmen unter den stärksten Parteien. Wenn die SPD also nicht mit der CDU will, brauch sie zwei andere Parteien zur Regierungsbildung. Die erste Kandidatin liegt auf der Hand. Die Grünen mit ihrem holprigen Wahlkampf haben dank der SPD weiterhin gute Chancen auf eine Regierungsbeteiligung. Ein Rot-Grüner Flirt bahnt sich an. Robert Habeck sprach sich gegenüber der Welt für eine Koalition mit der SPD aus, die ihnen „auf dem Papier“ in sozialpolitischen Themen zum Beispiel näherstünde als die CDU. Die Grünen greifen nach politischer Macht, die ihnen wahrscheinlich nur die SPD geben kann. Eine zweite Partei wäre also gefunden, aber wer kommt als Nummer Drei in Frage? Die CDU (wie schon geklärt) nicht, die verhassten Rechten von der AfD schon gar nicht. Bleiben also noch Linkspartei und Liberale. Eine sogenannte Ampelkoalition (also SPD, Grüne, FDP) lässt Erinnerungen (die ich nicht habe) aus Schmidt- und Brandtzeiten wieder hochkommen, wäre jedoch dank der angedeuteten Anti-Steuererhöhungs- und Anti-Staatsvergrößerungspolitik der FDP sicherlich schwierig umsetzbar. Außerdem hat Christian Lindner in jüngster Vergangenheit mehrmals betont, er gehe davon aus, dass die CDU Regierungsführer werden wird (anscheinend liest er keine Umfragen). Vor allem in Hinblick auf Vorschläge der Grünen wie einem Klimaministerium mit Vetorecht scheint die Ampel alles andere als ein „match made in heaven“. Ich glaube, die Linkspartei passt deutlich besser zu Rot-Grün und ich glaube auch, sie passt den Parteien besser. Warum Rot-Rot-Grün nicht nur passend, sondern auch wahrscheinlich ist und welche Implikationen so eine Koalition für die politische Zukunft Deutschlands hätte, möchte ich einmal lang und breit (und natürlich aus meiner Sichtweise) erläutern.

Die Linken und das Klima

Ganz trocken betrachtet ist die jetzige Situation innerhalb der Linkspartei alles andere als rosig. In den Umfragen schrammt man an der Fünf-Prozent-Hürde, die Stimmung ist alles andere als entspannt, vor allem dank Sahra Wagenknecht und ihrer vehementen Kritik am eigenen Parteikurs. Außerdem hagelt es in letzter Zeit Kritik im Zuge der Situation in Afghanistan, weil sich die Linksfraktion im Bundestag bei der Entscheidung, weitere Ortskräfte zu retten, enthalten hatte. Trotzdem stehen die Chancen auf eine Regierungsbeteiligung gut, aus zwei einfachen Gründen. Erstens, weil die Linken radikal beim Klimaschutz auftreten. Der klimapolitische Kurs geht ganz klar Richtung Ordnungspolitik und staatlicher Lenkung. Die Enteignung von Energiekonzernen, das Verbot von Neuzulassungen für Verbrennungsmotoren ab 2030 und die Einführung einer Vermögenssteuer zur Finanzierung dieser Klimapolitik sind nur einige Beispiele aus einem Klimaschutzprogramm, welches von der Partei unter anderem mit den Worten „Klare Regeln und Vorgaben für radikalen Klimaschutz“ beschrieben wird. Diese Radikalität erweckt den Anschein, man würde Klimaschutz um jeden Preis anstreben und das ist genau das, was vor allem junge Wählerinnen und Wähler interessiert und anzieht. Diese Radikalität beim Klimaschutz übt gekonnt Druck auf SPD und Grüne aus. Wenn sie sich für eine Koalition mit der FDP entscheiden würden, würde das auf viele Anhängerinnen und Anhänger so wirken, als meine man es nicht so ernst mit dem Klima. Dieser Druck spielt den Linken in die Karten. Dann wäre da noch der Fakt, dass die Linken die Parteibasis der SPD anspricht. Dass die Sozialdemokraten in den letzten Jahrzehnten immer näher an die CDU herangerückt sind, ist kein Geheimnis. Rufe nach einem Umschwung zurück zu einem offen demokratisch-sozialistischen Kurs werden schon länger immer lauter, jetzt steht die SPD vor einer großen Entscheidung. Man kann die Zügel endlich wieder selbst in die Hand nehmen und so auch den Kurs einer Regierung maßgeblich mitbestimmen, anstatt immer nur zweite Geige zu spielen. Ein Bündnis mit der Linkspartei würde die SPD wieder richtig links machen und genau deswegen glaube ich auch, macht das Rot-Rot-Grün so wahrscheinlich. Es wäre die Entfesselung der linken (bzw. eher linkeren) Parteien, die nicht mehr von Konservativen und Liberalen in ihrem wirtschaftlichen Kurs verhindert werden würden. Zugegeben, diese Formulierungen sind ein wenig überschwänglich, ein Linksruck innerhalb der Parteien und in der deutschen Politik generell ist jedoch absehbar, sollte es denn zu Rot-Rot-Grün kommen. Aber würde eine solche Regierung denn auch die gewünschten Ergebnisse erzielen? Es folgt ein kritischer Blick auf die wirtschafts- und klimapolitische Ideologie von Rot-Rot-Grün.

Kritikpunkt 1: staatlicher Dirigismus beim Klimaschutz

Wie schon erwähnt setzen die Linken in ihrem Wahlprogramm auf eine radikale Herangehensweise beim Klimaschutz. Der Staat soll die Zügel in die Hand nehmen, die Ziele sollen vor allem durch Vorschriften und Regulierungen erreicht werden. Zugegeben, so etwas von den Linken zu hören ist weniger überraschend, was jedoch so manch einen überraschen könnte, ist, dass SPD und vor allem Grüne der Linkspartei zumindest bei der Bewertung der Rolle des Staates beim Klimaschutz schon recht nahestehen. Genau wie die Linken wollen die Grünen durch die Vorgabe von Grenzwerten und strengen ökologischen Standards, wie unter anderem einer CO2-Bremse für alle Gesetze ihre Klimaschutzpolitik durchführen. Unterschiede zur Linkspartei sind auch einige anreizorientierte Maßnahmen wie zum Beispiel das Energiegeld, vor allem aber ist zu merken, dass die Grünen deutlich schwammiger in ihren Ausführungen bleiben. Sie fordern wenig direkte ordnungspolitische Maßnahmen, spielen aber indirekt auf sie an (zum Beispiel wollen die Grünen bei Energie- und Mobilitätswende verstärkt auf den Ausbau der staatlichen Infrastruktur setzen, was offensichtlich eines großen Budgets benötigt, erwähnen aber nicht explizit, wo die monetären Ressourcen dafür herkommen sollen). Was die SPD betrifft, wollen auch sie vor allem auf öffentliche Investitionen setzen (wieder, ein Ziel, was zwangsläufig den Ausbau der staatlichen Kompetenzen benötigt). Hier ist es tatsächlich eine ähnliche Leier, wie bei den Grünen. Viel Wunschdenken, viel Zielsetzung, im Vergleich dazu wenig Umsetzungsvorschläge. Sicher ist aber, und es ist bei Grünen und Linken nicht anders, der CO2-Preis soll steigen. Es spiegelt sich ein Bild bei allen drei Parteien wider. Die zentralen Säulen der Klimaschutzpolitik, zum Beispiel Energie- und Mobilitätswende sollen durch staatliches Eingreifen und Investieren durchgeführt werden. Unternehmen werden reguliert, es werden ihnen neue, schärfere Standards vorgeschrieben und generell soll es mehr Vorschriften und Verbote geben (ein Beispiel, bei dem sich alle einig sind, ist das Verbot von Autos mit fossilen Verbrennungsmotoren). Das große Problem einer solchen Klimapolitik ist, dass sie Gefahr läuft wirtschaftlich unattraktiv und sozial ungerecht zu werden. Wirtschaftlich unattraktiv, weil Unternehmen, ob klein oder groß, eine erheblichere Last an Bürokratie zu tragen haben. Wenn man mehr auf Regulierungen und Standards achten muss, verlangsamt das den Prozess der eigenen Produktion. Das mag nicht in allen Bereichen schlecht sein, wenn wir doch aber einen erheblichen Fortschritt in Technologie und nachhaltiger Produktion benötigen, kann Bürokratie dem im Weg stehen. Wenn ich eine bahnbrechende Erfindung auf den Markt bringen will, mir aber noch Gedanken darum machen muss, dass ich in Produktion, Vermarktung und Verschaffung alle Umweltauflagen einhalte, habe ich einfach deutlich weniger Zeit, mich mit der eigentlichen Erfindung zu beschäftigen. Das ist dann auch sozial ungerecht, da das Anpassen an Vorschriften Zeit und Geld benötigt. Und davon habe ich deutlich weniger, wenn ich mit nur wenigen Mitarbeitenden ein kleines Unternehmen führe. Natürlich kann man jetzt aus den Wahlprogrammen nicht ganz genau herauslesen, was die Parteien in den nächsten Jahren explizit in jedem Bereich an Klimaschutzmaßnahmen durchführen werden, es lässt sich aber ein gewisser Kurs erkennen. Und dieser Kurs, ein staatlich-dirigistischer Kurs, läuft meiner Meinung nach Gefahr, nach hinten loszugehen. Mit diesem Satz leite ich zu meinem zweiten Kritikpunkt über.

Kritikpunkt 2: linke Wirtschaftspolitik

Wirtschaftspolitik steht natürlich in direkter Relation zu Klimapolitik, deswegen lesen sich die wirtschaftspolitischen Forderungen der Parteien ganz ähnlich. Den Vorschlag der Linken „Den neoliberalen Kapitalismus, der von Deregulierung, Privatisierung und Sozialabbau gekennzeichnet ist“ zu überwinden, teilt keiner der anderen beiden Parteien, zumindest nicht offiziell. Trotzdem finden sich im Bereich Wirtschaft zwischen allen drei Parteien weitreichende Überschneidungspunkte. Zum Beispiel beim Thema Vermögenssteuer. Die wollen alle drei Parteien in irgendeiner Form einführen. Vor allem Unternehmen und Wohlhabende sollen besteuert werden, durch zum Beispiel eine Erhöhung der CO2-Steuer soll aber auch die Gesellschaft als Ganzes in die Verantwortung zur Emissionsreduzierung genommen werden. Ziel der Wirtschaftspolitik ist für alle drei Parteien „soziale und ökologische Gerechtigkeit“. Es gibt aber auch Unterschiede. Während die Linken sich offen zum demokratischen Sozialismus bekennen, planen die Grünen der Marktwirtschaft „einen sozial-ökologischen Rahmen“ zu geben. Die SPD ist da nicht so klar, jedoch wollen sie ihre Wirtschaftspolitik „gemeinwohlorientiert“ ausrichten. Wie diese Pläne in der Umsetzung aussehen würden, ist natürlich eine andere Frage, man kann aber davon ausgehen, dass ein Rot-Rot-Grünes Bündnis eine erhebliche Vergrößerung des staatlichen Einflusses auf die Wirtschaft mit sich bringen würde. Den „Ökokommunismus“, den die Union in diesen Tagen prophezeit, würde es sicherlich nicht geben, aber eine wirtschaftliche Linksverschiebung sicherlich. Dieser Kurs ist sehr optimistisch, zu optimistisch vielleicht. Denn wenn man Energie- und Mobilitätswende größtenteils staatlich und in weniger als zehn Jahren durchführen will, brauch man dafür erhebliche monetäre Ressourcen. Rot-Rot Grün will diese Ressourcen durch mehr Steuern und Abgaben einholen. Wenn man aber starke Regulierungen und Vorschriften für Unternehmen einführt, führt das ab einem bestimmten Punkt zu einer erheblichen Schwächung des Wirtschaftswachstums. Das führt dann dazu, dass der Staat weniger einnimmt, denn Staatseinnahmen hängen davon ab, wie viel erwirtschaftet und dann anschließend versteuert wird. Dann läuft man Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu geraten. Denn einer Volkswirtschaft, die mehr umverteilt, als sie produziert, geht früher oder später das Geld aus (ganz abgesehen davon, ob wirtschaftliche Leistungsträger und „die Reichen“, deren Vermögen man ja stark besteuern will, bei einer solchen Wirtschaftspolitik überhaupt im Land bleiben würden). Selbst wenn Deutschland es trotzdem schaffen würde, schnell klimaneutral zu werden, dies aber auf Kosten des wirtschaftlichen Wachstums geschieht, würde das Global nicht viel bringen. Denn ein klimaneutrales Land mit einer schwächelnden Wirtschaft nimmt sich sicherlich keine Industrienation (und die Industrienationen sind nun mal die Treiber des Klimawandels) als Vorbild.

Natürlich kann niemand hellsehen. Niemand kann mit Sicherheit sagen, ob Rot-Rot Grün überhaupt passieren wird und wie das Handeln dieser Regierung dann aussieht. Meine Ästimation ist nichts mehr als eine Voraussage, basierend auf Umfragen, Parteiprogrammen und meiner eigenen Einschätzung. Ich halte es trotzdem für fraglich, wie man den Klimawandel, die größte Menschheitsaufgabe des 21. Jahrhunderts, mit staatlicher Lenkung, Steuer- und Verbotspolitik und einem damit verbundenen noch weiterwachsenden Berg an Bürokratie lösen und gleichzeitig für soziale Gerechtigkeit und Wohlstand sorgen möchte.

U-18 Wahl und Podiumsdiskussion

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Am 17. September wird in diesem Jahr, entsprechend der Bundestagswahl, eine U-18 Wahl an unserer Schule durchgeführt.
Diese wird vom Leistungskurs Politik des 13. Jahrgangs unter der Leitung von Herrn Schöneburg und dem Politics (bilingual) Kurs 13 von Frau Barth-Reisenberger organisiert. In diesem Rahmen wurde von den gleichen Organisatoren kürzlich eine Podiumsdiskussion im Audimax gehalten. Die Redaktion von Der Merianer begleitet das Projekt und wird sich in den nächsten Wochen deshalb auf die bevorstehenden Wahlen fokussieren.

U-18 Wahl

Eine Wahl für alle unter 18 Jahren, nur leider ohne Wertung. Oder doch? Die U-18 Wahl ist nicht nur eine gute Probe, wie so eine Wahl denn eigentlich abläuft, sondern spiegelt mit ihrer Auswertung den Parteien schon jetzt ab, welche Themen den baldigen ErstwählerInnen wichtig sind.

Am 17. September bekommt jeder SchülerIn der Merian Schule unter 18 Jahren die Möglichkeit, an dieser Wahl teilzunehmen. Die zeitliche Einteilung dazu steht bereits für jeden abrufbar im DSB.

Die Klassen werden dann in ihrer zugeteilten Zeit, in dem ihnen zugeteilten Wahllokal gehen und das Wahlangebot entgegennehmen können. Das Wichtigste hierbei: Die Wahlen sind frei geheim und gleich. Niemand muss daran teilnehmen.

Podiumsdiskussion

Um das politische Interesse zu fördern und die Politik direkt an unsere Schule zu holen, sodass sich SchülerInnen ihr eigenes Bild von den PolitikerInnen machen können, wurde eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der Parteien: CDU, SPD, Die Linke, AfD, Grüne organisiert und erfolgreich gehalten. Für jeden, der nicht dabei sein konnte präsentieren wir euch hier die Aufzeichnung:

Wir bedanken uns herzlich bei allen Mitwirkenden PolitikerInnen und OrganisatorInnen, sowie ModeratorInnen und TechnikerInnen.